Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Mama geht nicht mehr" (ZDF)
10.11., ZDF, 20.15 Uhr: "Mama geht nicht mehr"
Mit dem Entsetzen Scherze treiben und dem Krebs komische Seiten abgewinnen: Das trauen sich deutsche Fernsehfilme noch nicht lange.

Den zarten Beginn dieser jungen Tradition markiert das Drama "Marias letzte Reise" (2005, BR), doch tatsächlich tragikomisch waren erst spätere Werke wie "Ein starker Abgang" (2009, ZDF) oder geradezu exemplarisch "Und weg bist Du" (2012, Sat.1). Keines dieser Werke verharmloste die Krankheit. Auch Vivian Naefe gelingt die Gratwanderung: "Mama geht nicht mehr" hat viele heitere Momente, aber heftige Schmerzattacken sorgen dafür, dass Hauptfigur und Publikum immer wieder auf dem Boden der Tatsachen landen.

Der Film beginnt wie eine romantische Komödie: Karin (Mariele Millowitsch), Chefärztin der Kinder- und Jugendabteilung eines Berliner Krankenhauses, will einen Tauchschein machen. Die Farben sind warm, der Tonfall ist heiter; sie flirtet ein bisschen mit dem jungen Tauchlehrer. Der Schock folgt, als ihr ein Kollege (André Jung) das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung präsentiert: Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium; ihr bleiben maximal zwölf Monate. Karin kauft sich zunächst ein Ratgeberbuch ("Die Freiheit der letzten Tage") und beschließt dann, die Zeit nutzen, um Frieden mit ihrer Tochter Steffi (Mina Tander) zu schließen. Also löst sie ihre Wohnung auf und steht eines Tages unangekündigt mit Sack und Pack vor dem großzügigen Kölner Wohnhaus von Steffi und ihrer Familie. Die Tochter ist allerdings alles andere als begeistert: Sie hat sich als Kind und Teenager von der Mutter vernachlässigt gefühlt, weil Karin die Karriere stets wichtiger war als die Familie, die prompt irgendwann zerbrochen ist. Am meisten aber wirft sie der Mutter vor, dass sie nicht zu ihrer Hochzeit gekommen ist, weil sie ihrem Ex-Mann nicht begegnen wollte. Keine guten Voraussetzungen für eine Wohngemeinschaft also, zumal es zwischen Steffi und ihrem Mann Basti (Simon Schwarz) heftig kriselt. Zu allem Überfluss ist der übergewichtige Sohn Timo (Erik Linnerud), der seine Freizeit mit Ballerspielen am Computer verbringt, gerade in der Pubertät; entsprechend hitzig sind die Auseinandersetzungen zwischen ihm und Steffi.

"Mama geht nicht mehr" (Drehbuch: Stefan Kuhlmann, Murmel Clausen) erfüllt mithin alle Voraussetzungen für ein veritables Familiendrama. Die Stimmung ist jedoch nur gelegentlich schwermütig, weil Naefe eine schöne Balance gefunden hat. Licht und Farben bleiben freundlich, die Dialoge sind oft witzig und auch mal schwarzhumorig. Karins Krebs bleibt stets präsent, weil sie regelmäßig zur Chemotherapie geht, ihr die Haare ausfallen und sie immer wieder vom Schmerz überwältigt wird. Dennoch funktioniert der Film wie eine Familienkomödie, denn Karin stellt sich die Aufgabe, über die Versöhnung mit ihrer Tochter hinaus auch deren Ehe zu retten, und das ist gar nicht so einfach: Orthopäde Basti hat ein Verhältnis mit seiner attraktiven Sprechstundenhilfe Maren (Annina Hellenthal), was Karin im Nu rausfindet, als sie Maren in der Praxis vertritt. Sie stellt den Schwiegersohn zur Rede, der beendet die Affäre und bemüht sich wieder mehr um seine Frau, aber dann begegnet das Paar Maren beim Kinobesuch, und nun weiß auch Steffi, was zwischen den beiden was gelaufen ist.

Der Reiz des Films liegt also nicht zuletzt in den Kontrasten, und das gilt keineswegs nur für die Kombination aus Komödie und Tragödie, sondern auch für die gegenläufige Entwicklung der beiden Erzählebenen: Während Karin immer stärker vom Krebs gezeichnet ist, sind ihre Bemühungen, aus Steffi, Basti und Timo wieder eine Einheit zu machen, zunehmend erfolgreich. Die familiäre Ebene sorgt auch dafür, dass "Mama geht nicht mehr" kein Krebsdrama ist; Steffis Unzufriedenheit mit der im Alltag versandeten Ehe zum Beispiel ist nur einer von vielen Denkanstößen. Sie selbst wiederum macht im Umgang mit ihrem Sohn viele Fehler, weil sie allzu vorschnell urteilt. Dank Karin sieht sie den Jungen, der sich rührend um seine Großmutter kümmert, mit anderen Augen; das Drehbuch findet eine ganze Reihe treffender Belege sowohl für das Fehlverhalten aller Beteiligten wie auch für ihre Versöhnung. Abgerundet wird der Film durch typische Komödienmomente wie etwa den Zwist um einen Parkplatz beim Krebszentrum, wobei sich der Kontrahent prompt als Karins behandelnder Arzt (Simon Böer) entpuppt. Für eine heiter-melancholische Note sorgt Ingo Naujoks als Musiker, der Karin bei der Chemotherapie erst mal Haschischplätzchen anbietet. Trotz der unvermeidlichen Tränen am Ende hat Naefe kein Melodram aus dem Stoff gemacht.