Kriminologe: These steigender Zahlen von IS-Mädchen ist falsch
Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat anlässlich des Prozessauftakts gegen die 16-jährige mutmaßliche Islamistin Safia S. Zweifel geäußert, dass sich immer mehr junge Frauen radikalisierten und mit dem sogenannten "Islamischen Staat" sympathisierten.
20.10.2016
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Hannover, Celle (epd). "Dafür gibt es keinerlei verlässliche Daten", betonte Christian Pfeiffer, der frühere Leiter des Kriminologischen Instituts Niedersachsen, in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Safia S. steht seit Donnerstag in Celle vor dem Oberlandesgericht, weil sie im Namen und im Auftrag des IS einen Polizisten in Hannover niedergestochen haben soll.

Pfeiffer sagte, noch vor zwei Jahren habe es zur Beteiligung von Frauen am "Islamischen Staat" keine Zahlen gegeben. "Deshalb sehe ich das sehr skeptisch, wenn jetzt ständig von einem Anstieg gesprochen wird", sagte Pfeiffer. Fakt sei, dass in allen Bereichen von Gewalt überall auf der Welt Frauen deutlich unterrepräsentiert seien. Ihr Anteil liege immer unter 20 Prozent.

"Immer-Mehr-Ismus" kritisiert

Er beobachte bereits seit einigen Jahren, dass immer dann, wenn ein neu entdecktes Phänomen Angst mache, sehr schnell und reflexartig von einer steigenden Tendenz gesprochen werde, erläuterte der Kriminologe: "Ich nenne das den Immer-Mehr-Ismus." In den Medien und in der Öffentlichkeit entwickle sich durch solche Behauptungen eine Eigendynamik. Die Fakten zeigten häufig genug das genaue Gegenteil.

In der Bevölkerung halte sich beispielsweise hartnäckig die Ansicht, früher seien körperliche Auseinandersetzungen fairer gewesen. Heute seien vor allem die Jugendlichen und jungen Männer brutaler und schlügen auch noch zu, wenn das Opfer schon am Boden liege. In Wahrheit nehme die Gewalt ab. Die Zahl der Tötungsdelikte in dieser Altersgruppe sei seit 1993 um mehr als 40 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Körperverletzungen um zehn bis 20 Prozent.

Aktivere Rolle der Moscheegemeinden gefordert

Pfeiffer warnte allerdings davor, beim Thema Radikalisierungsprävention insgesamt nachzulassen. Das beste Mittel gegen ein Abdriften in radikale islamische Positionen sei die Integration. "Wer sozial gut eingebunden ist, ist schutzgeimpft gegen die Einflüsterungen der Islamisten." Bei den 300.000 jungen Männern, die 2015 aus Syrien, dem Irak und Afghanistan nach Deutschland gekommen seien, gebe es noch großen Nachholbedarf.

Er wünsche sich dabei eine deutlich aktivere Rolle der Moscheegemeinden, forderte der Kriminologe. "Es müsste eine große kulturelle Offensive der Muslime in Deutschland für die Integration von Flüchtlingen geben. Die kann ich aber nicht erkennen." In den Moscheen predigten stattdessen noch immer überwiegend türkisch- oder arabischsprachige Imame, die etwa ein modernes europäisches Rollenbild von Mann und Frau nicht vermitteln könnten.

"Ich sehe nicht, dass hier ein Euro-Islam in deutscher Sprache gelehrt wird", kritisierte Pfeiffer. Die Regierungen der Bundesländer, die wie Niedersachsen mit den muslimischen Verbänden derzeit spezielle Verträge aushandelten, sollten das stärker einfordern.