"Das waren die Stunden meines Lebens," sagt Sabine Schubert (Name geändert), wenn sie an ihr nebenberufliches Theologiestudium an der Universität Marburg zurückdenkt. Schon lange hatte sich die studierte Romanistin für Theologie interessiert. Um neben ihrem Beruf einen Master in evangelischer Theologie zu erwerben, setzte sie ihre Freizeit sowie rund 10.000 Euro für Studiengebühren und andere Kosten ein.
Trotz der hohen zeitlichen und finanziellen Beanspruchung, die ein Quereinsteiger-Studium mit sich bringt, ist Schubert kein Ausnahmefall. "Die Nachfrage von Spätberufenen nach einem nebenberuflichen Theologiestudium ist deutlich gestiegen", sagt der Vorsitzende des Evangelisch-theologischen Fakultätentages, Wolfram Kinzig. In Marburg - neben Heidelberg die einzige staatliche Uni mit einem Quereinsteiger-Angebot für evangelische Theologie - stehen die Kandidaten Schlange. Pro Jahrgang werden 25 Plätze angeboten. "Wir haben drei bis viermal so viele Bewerber", sagt der Dekan des Fachbereichs Evangelische Theologie, Friedemann Voigt.
Das müsste die Kirchen freuen. Denn nach Angaben der Hochschulreferentin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hildrun Keßler, ist perspektivisch in einigen Jahren ein Pfarrermangel zu erwarten. Deshalb sollten die Landeskirchen und die Evangelisch-theologischen Fakultäten ein Interesse daran haben, Studiengänge für Quereinsteiger zu entwickeln.
Höhere Anforderungen in den Fremdsprachen
Keßler gibt zu Bedenken, dass dies ein Balanceakt ist zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch an die theologische Ausbildung und der Studierbarkeit für Menschen, die in der Mitte ihres Lebens das Risiko einer zweiten Ausbildung eingehen. Tatsächlich lehnen viele der 20 EKD-Gliedkirchen die Absolventen der nebenberuflichen Studiengänge als Vikare ab, weil sie bezweifeln, dass die Quereinsteiger das gleiche fachliche Niveau mitbringen wie die grundständig Studierenden.
Eine Grundlage für die wissenschaftliche Ausbildung Spätberufener wollte der Evangelisch-theologische Fakultätentag mit einer am 8. Oktober in Münster beschlossenen Rahmenstudienordnung schaffen. Mehrere Unis hofften auf Rückenwind für die geplante Einrichtung neuer Studiengänge. Kritiker bezweifeln, dass der nun weht.
Für Bedenken sorgt vor allem die Tatsache, dass die neue Rahmenordnung für den "Master of Divinity" deutlich höhere Anforderungen an den Fremdsprachenerwerb der nebenberuflichen Studenten stellt. Die bisherigen Studiengänge verlangten lediglich ein Grundwissen. Künftig sollen die Bewerber bereits Grundkenntnisse in Hebräisch und Altgriechisch mitbringen und im Laufe des Studiums Sprachkompetenz auf dem Niveau des Hebraicums und Graecums nachweisen.
Dann müssten die Bewerber künftig neben dem Beruf erst ein halbes Jahr lang Sprachen lernen, befürchtet Dekan Voigt. Das könnte viele abschrecken: "Wir verstellen den Kirchen damit den Weg, solche hochmotivierten Kandidatinnen und Kandidaten für das Pfarramt zu gewinnen."
Im Vikariat weiter studieren
Auch der Prodekan der evangelisch-theologischen Fakultät in Mainz, Wolfgang Breul, sieht den Quereinstieg durch die Rahmenordnung eher erschwert als erleichtert. "Die Hürden für berufsbegleitende Studiengänge sind zu hoch", sagt der Kirchenhistoriker, dessen Fakultät erwägt, einen berufsbegleitenden Masterabschluss anzubieten. Bei der Rahmenordnung hätten sich diejenigen Fakultäten durchgesetzt, die einen erleichterten Zugang zum Theologiestudium ablehnten.
"Uns war es ganz wichtig, an einer wissenschaftlichen Ausbildung festzuhalten," verteidigt dagegen der Fakultätentags-Vorsitzende Kinzig die getroffene Regelung. "Pfarrer müssen in der Lage sein, die Bibel in der Ursprache zu lesen." Als Kompromiss habe man sich auf den Verzicht des Nachweises von Lateinkenntnissen eingelassen. Das sei bereits ein deutliches Entgegenkommen gewesen, betont der Bonner Kirchenhistoriker. Am Ende müsse die Ausbildung der Quereinsteiger das gleiche Niveau erreichen wie die der grundständig Studierenden.
Kinzig räumt ein, dass dies in sechs Semestern nicht möglich ist. Daher sei vorgesehen, die Kandidaten während des Vikariats wissenschaftlich weiter zu qualifizieren. Dazu müssten die EKD und die 20 Landeskirchen nun neue Ausbildungsmodelle entwickeln. EKD-Hochschulreferentin Keßler erklärte, die neue Studienordnung müsse zunächst von den EKD-Gremien und mit den Ausbildungsreferenten der Landeskirchen beraten werden. Voraussichtlich zum nächsten Fakultätentag im Oktober 2017 werde dann ein Zwischenbericht vorliegen. Ziel sei ein gemeinsamer Weg, den alle EKD-Gliedkirchen mittragen.
Quereinsteigerin Sabine Schubert ist glücklich, nach einer Reihe von Ablehnungen demnächst bei der hessen-nassauischen Kirche als Vikarin zu beginnen. Bis der Weg ins Pfarramt für viele weitere Spätberufene geebnet ist, könnte es aber noch eine Weile dauern.