Dichtes Gedrängel am Stand der Deutschen Bibelgesellschaft auf der Frankfurter Buchmesse. Gegen 10.15 Uhr am Mittwochvormittag steigt die Spannung spürbar. Auf der Bühne ist ein großes rechteckiges Ding aufgestellt. Es ist geheimnisvoll mit bunt gepunktetem Papier verhüllt, die Mitarbeiter der Bibelgesellschaft mit ebenso bunt gepunkteten Krawatten und Halstüchern geschmückt: Es ist das Marken-Design zur Präsentation der revidierten Lutherbibel 2017. Die Mitarbeiter und ihre Gäste – Theologen, Journalistinnen, Bibel-Fans, Literaturexperten – blicken erwartungsvoll zur Bühne. Was steckt wohl hinter dem Buntpapier? Gläser mit Sekt werden verteilt. Die Presseleute fahren ihre Rechner hoch, Fotografinnen halten ihre Kameras im Anschlag.
10.30 Uhr. Christoph Rösel, Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft, betritt die Bühne. "Heute ist ein ganz besonderer Tag", sagt er strahlend. "Zehn Jahre lang haben wir auf diesen Tag hingearbeitet." Ab diesem Mittwoch ist die revidierte Lutherbibel 2017 im Handel erhältlich: 14 Printausgaben in einer Auflage von 260.000, online und als App, die Psalmen gibt es schon als Hörbuch und das Matthäusevangelium in Blindenschrift. Die Bibel sei als "Heilige Schrift" immer auch "ein Buch mitten aus dem Leben" und damit auf der Buchmesse gerade richtig, sagt Christoph Rösel. "Sie ist der erste Bestseller und man kann sagen der wichtigste Longseller."
Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, stimmt Rösel zu. "Die Bibel ist für uns das wichtigste Buch innerhalb unserer Gesellschaft und das wichtigste Buch, das je erschienen ist", sagt er und ist mit den Superlativen noch nicht fertig: "Martin Luther ist mit Sicherheit auch der wichtigste Autor und Schriftsteller, den die deutsche Literatur hervorgebracht hat." Die Bibel sei auch ein Beispiel dafür, welche Macht Bücher für die Meinungsbildung der Menschen hätten. Die Lutherbibel sei geradezu ein Symbol der Werte, für die die gesamte Buchbranche stehe – "für Kritik, Freiheit, freie Meinungsäußerung, Unabhängigkeit und Protest".
Er kenne keinen anderen Text, der seit 500 Jahren immer wieder revidiert und in die Sprache der nächsten Generation gebracht worden sei, sagt Oliver Voerster von der KNV-Gruppe (verantwortlich für die Logistik). Doch trotzdem finde man Worte aus der heutigen Zeit wie "twittern" oder "bloggen" wohl kaum im Luthertext. Gewitzel im Publikum: Man hätte ja Hashtags in den Text einfügen können, schlagen die Fachleute ihrem Kollegen Christoph Kähler vor – das ist der Mann, der den Lenkungsausschuss für die Revision 2017 geleitet hat, also für die Übersetzung verantwortlich ist. Kähler steht mitten in der Menge und grinst. Und zwar schon zum zweiten Mal, denn eben war er mit "Landesbischof in Ruhe" begrüßt worden – von Ruhe konnte in den vergangenen zehn Jahren bei dieser Riesenaufgabe wohl keine Rede sein.
Dann kommt der große Moment. Die Fotografinnen treten noch näher heran, jemand schiebt eine Frau im Rollstuhl durchs Gedränge direkt vor die Bühne, damit sie alles mitbekommt: Heinrich Riethmüller und Christoph Rösel lösen raschelnd den gepunkteten Vorhang, und dahinter kommt das Cover der Jubiläumsausgabe der Lutherbibel 2017 zum Vorschein – mehr als mannshoch, aus Stoff, auf ein Metallgerüst gespannt. "Aaaah" und "Ohhh" macht die Menge vor der Bühne, als sie das blauweiße Cover mit der Lutherrose in der Mitte sieht. "Ich freue mich, die Lutherbibel 2017 den Leserinnen und Lesern zu übergeben", beschließt Christoph Rösel den großen Moment, während das Publikum noch applaudiert.
Ein Klavier, ein Klavier!
Wenig später draußen vor Halle 3. Der Musiker Dieter Falk läuft auf einer Bühne rastlos hin und her. Leute von der Bibelgesellschaft spannen die große Stoff-Jubiläumsbibel wieder auf ihr Gerüst. Alle sind ein bisschen nervös, denn hier sollen jetzt die beiden CDs "A Tribute to Martin Luther" und "Luther. Pop Oratorium" vorgestellt werden – doch der Flügel ist noch nicht da. Zur Überbrückung trinken die Wartenden Yogi-Tee oder machen Fotos von Dieter Falk und Moderator Eckart von Hirschhausen, die sich mit einer Umarmung begrüßen.
Endlich biegt ein Speditionswagen mit Klavier-Lackierung auf den Platz ein und die Packer gehen ans Werk, entfernen die Plastikfolie vom Flügel, schrauben die Beine an. "Jetzt wissen Sie alle, wie ein Flügel aufgebaut wird, falls in Ihrem Wohnzimmer mal einer angeliefert werden sollte", witzelt Dieter Falk, als das Instrument nach ein paar Minuten steht. Und Eckart von Hirschhausen gibt zu, er habe gerade irgendwie an Loriot denken müssen. Doch dann haut Falk schon in die Tasten, man erkennt die Melodie von "Ein feste Burg ist unser Gott", aber es klingt modern. "Martin Luther hat als erster Volkslieder, also populäre Lieder, in die Kirchen gebracht", erklärt Dieter Falk, der die alten Choräle neu interpretiert hat. "Er war der erste Popmusiker der Kirche."
Pop-Musiker, Top-Übersetzer und Bestseller-Autor, Vorkämpfer für Freiheit, Kritik und Protest – der Reformator hätte sich geschmeichelt gefühlt, hätte er diesen Vormittag auf der Frankfurter Buchmesse miterlebt.