Was ist die richtige Entscheidung eines Piloten, der wählen muss, ob er eine Zivilmaschine, die zu Terrorzwecken entführt wurde, abschießt oder nicht? Diese Frage ist nicht zu beantworten, weil es in dieser Situation keine richtige Entscheidung geben kann. Es ist vollkommen egal, welche Entscheidung der Pilot trifft, weil er es nicht richtig machen kann. So oder so werden Menschen seinetwegen sterben. Er wird so oder so Schuld auf sich laden. Der fiktive Pilot kann einem von Herzen leidtun, dass er in eine solch schreckliche Situation gerät, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er nun nichts mehr richtig machen kann. Er muss sich für die eine oder die andere Schuld entscheiden, die er auf sich lädt.
Letztlich ist das Urteil egal
Man kann und wird heute Abend darüber diskutieren, ob man den Piloten für seinen Entschluss, die Maschine abzuschießen, um viele andere Menschen zu retten, freisprechen sollte oder nicht. Mein Wunsch aber ist, dass man dabei nicht so tun möge, als ginge es um Richtig oder Falsch. Ein Freispruch darf nicht so verstanden werden, als hätte der Pilot "das Richtige" getan, indem er die Passagiermaschine abschoss. Eine Verurteilung darf andererseits nicht so begriffen werden, als wäre es "richtig" gewesen, die entführte Maschine weiterfliegen zu lassen. Letztlich ist es vollkommen gleichgültig, wie sich das Publikum heute Abend entscheiden wird. Sie werden ein Urteil über eine Situation fällen, in der es kein Richtig gibt. Darum kann auch das Urteil selbst nicht richtig sein.
Kein Mensch ist ohne Schuld
Eine der wichtigsten reformatorischen Erkenntnisse ist, dass kein Mensch ohne Schuld sein kann. Jeder Mensch – sei er noch so untadelig – kommt immer wieder in Situationen, in denen er schuldig wird. Es ist Theologen wie Martin Luther zu verdanken, dass sie diesen Umstand wieder so deutlich gemacht haben. Gerade in diesen Tagen, in denen viele Menschen lauthals ihre Rechthaberei in die Welt schreien, ist es wichtig, sich an diese Erkenntnis zu erinnern. Niemand ist ohne Schuld. Wer sich dessen bewusst wird, wird sich zum Beispiel nicht ständig selbst zu Maßstab machen und "Gerechtigkeit" rufen, wenn andere etwas bekommen, das man auch gern hätte. Wer sich darüber im Klaren ist, dass das Leben einen ständig in unmögliche Situationen bringt, in denen man nichts richtig machen kann, kann im besten Falle demütig werden. Demut bedeutet, sich der eigenen Schuld bewusst zu sein, selbst wenn das Leben einem diese Schuld aufgebürdet hat. Wer in diesem Sinne demütig ist, wird nicht um einen Freispruch bitten, sondern um Gnade.
Lieber nachdenken als mitstreiten
Natürlich soll Gerechtigkeit herrschen, doch heute Abend kann keine Gerechtigkeit hergestellt werden, nicht einmal fiktiv. Wer zuschaut, sollte versuchen, sich die eigenen Situationen vor Augen zu führen, in denen man zwei Möglichkeiten hatte, die beide gleichermaßen dazu führten, sich schuldig zu machen. Man denke über Vergebung nach, und wer an Gott glaubt, danke dafür, dass wir ihm gegenüber nicht so tun müssen, als seien wir ohne Schuld. Rechtfertigung kommt nicht aus dem richtigen Handeln. Falls Sie die Sendung heute Abend sehen, machen Sie sich solche Gedanken!