Der evangelische Krankenhausseelsorger und Pfarrer Winfried Hess und die muslimische Seelsorgerin Rabia Bechari von Salam e.V. im Markuskrankenhaus im Oktober 2016.
Foto: Lilith Becker/evangelisch.de
Der evangelische Krankenhausseelsorger und Pfarrer Winfried Hess und die muslimische Seelsorgerin Rabia Bechari von Salam e.V. im Markuskrankenhaus in Frankfurt am Main.
Muslimische Seelsorge gehört zu Deutschland
Die evangelische und die katholische Kirche in Frankfurt unterstützen die Seelsorge-Ausbildung von Muslimen. Denn die Kirchen wollen einen deutschen Islam stärken.

Muslime in Deutschland brauchen eigene Krankenhausseelsorger. Warum, erklärt Rabia Bechari mit dieser Geschichte: Die Mutter der Familie war schwer krank und lag im Sterben. Die Ärzte schlugen vor, sie ins Wachkoma zu versetzen. Die Tochter war verzweifelt und ratlos. Die Familie lebt eine konservativ muslimische Tradition. Was also sagt der Islam: Darf man einen Menschen ins Wachkoma versetzen? Die Tochter rief in Saudi-Arabien an, um sich dort die religiöse Rechtsauskunft eines Gelehrten einzuholen, eine Fatwa.

"In Saudi-Arabien lebt die Gesellschaft ganz anders als in Deutschland", sagt Rabia Bechari, Vorsitzende des ehrenamtlich arbeitenden Salam e.V. für muslimische Seelsorge. Was dort für eine Gesellschaft in Ordnung sei, sei es in Deutschland möglicherweise nicht. Salam e.V. wolle die verschiedenen muslimischen Glaubenstraditionen mit der deutschen Gesellschaft verbinden, sagt Rabia Bechari. Deshalb bildet ihr Verein sowohl Menschen verschiedener muslimischer Prägungen als auch verschiedener Herkunft zu Seelsorgern aus.

Damit sich Muslime dort orientieren, wo sie leben

Muslime werden in Deutschland oft noch als Fremde wahrgenommen. Ob der Islam zu Deutschland gehört, wird stetig neu diskutiert und von bundespolitischer Spitze unterschiedlich beantwortet. Hatte Christian Wulff sich als Bundespräsident noch klar positioniert und gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland, nahm sein Nachfolger Joachim Gauck diese Aussage wieder zurück. Was das für einen in Deutschland aufgewachsenen Muslim bedeutet, dass er gesagt bekommt, ein Teil seiner Identität gehöre nicht zu Deutschland, kann man sich nur vorstellen.

Für den hessischen Salam e.V., der aus der Hilfsorganisation Grüner Halbmond hervorgegangen ist, ist es wichtig, dass sich die Muslime dort orientieren, wo sie leben und sich dort angenommen fühlen. Der muslimische Seelsorge-Verein steht nicht für große politische Gesten, sondern für kleine realistische Schritte. Er steht nicht für verordnete Integration, sondern für ein vorsichtiges aneinander herantasten.

Der evangelische Pfarrer Winfried Hess hat schon in den 1990er Jahren gelernt, dass Menschen ihrem Glauben und ihrer Herkunft entsprechend seelische Begleitung in Notsituationen brauchen. Als Seelsorger arbeitete er damals in einem us-amerikanischen Krankenhaus. Er habe dort erlebt, wie selbstverständlich den Menschen in Krankenhäusern geistiger und emotionaler Beistand angeboten worden sei - weil die Betreiber der Krankenhäuser dies als ihre Aufgabe betrachtet hätten. Und zwar je nachdem, welche Religion oder Weltanschauung jemand hatte, sei versucht worden, den passenden Seelsorger zu finden. In Deutschland hingegen sei die Einsicht, dass körperliche und seelische Genesung eng zusammenhingen, lange Zeit nicht als grundsätzliche Idee in Krankenhäusern verankert gewesen. In weiten Teilen ist das immer noch so - es geht eher um das Heilen der Krankheit, um den Körper.

In den 1970er Jahren entstand jedoch auch in Deutschland eine Seelsorgebewegung in Deutschland, die ihre Wurzeln in der amerikanischen und niederländischen Seelsorgebewegung hat. Der ökumenische Fachverband Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie lehrt Seelsorge, in der zunächst der Mensch im Mittelpunkt steht und dann erst die Religion. Während der Jahrzehnte seelsorgerischer Praxis hat sich der Blick auf  andere geweitet. Auch Menschen anderen Glaubens oder anderer Weltanschauung absolvieren Ausbildungen als Seelsorger. Doch während die Kirchen für die christliche Seelsorge hauptamtliche Stellen finanzieren, gilt das für keine andere Religionsgemeinschaft. Viele Moscheegemeinden haben dafür kein Geld oder, wie im Fall der Türkisch Islamischen Union (DITIB e.V.), legen die Geldgeber Wert darauf, die Seelsorge-Ausbildung im Herkunftsland stattfinden zu lassen.

Der mittlerweile vierte Lehrgang von Salam e.V. findet jedoch in Deutschland statt. Rabia Bechari leitet den Verein, organisiert die Lehrgänge mit und koordiniert die muslimische Seelsorge in mittlerweile sechs Krankenhäusern in Frankfurt - das alles als ehrenamtliche Kraft. Mit diesen sechs Krankenhäusern, darunter zwei aus dem christlichen Krankenhauskonzern Agaplesion, hat Salam e.V. Verträge über Seelsorge abgeschlossen.

Dass es überhaupt eine Ausbildung für muslimische Seelsorge gibt, ist in Frankfurt dem Rat der Religionen zu verdanken. Im Jahr 2012 hatte sich eine Arbeitsgruppe des Rates auf gemeinsame Werte für eine interreligiöse Seelsorge geeinigt. Seitdem unterstützen die hessischen Kirchen die muslimische Seelsorge-Ausbildung bei Salam e.V., der sich diesen Werten verpflichtet hat. Der evangelische Pfarrer und Krankenhausseelsorger Winfried Hess ist einer der Dozenten dieser Lehrgänge. Evangelische und katholische Kirche stellen Referenten und Räume zur Verfügung. Der Lehrplan ist zudem an die christliche Seelsorge-Ausbildung angelehnt; den muslimischen Teil verantworten muslimische Gelehrte.

Winfried Hess hat ein Positionspapier des Rates der Religionen mit erarbeitet. Die damalige Frankfurter Integrationsdezernentin hatte das Papier im Jahr 2012 stolz präsentiert. Professionalisierung und verbindliche ethische Standards seien wichtig, damit angemessene Seelsorge angeboten werden könne, hatte sie gesagt. Nun, vier Jahre danach, leistet sich Frankfurt keine Integrationsdezernentin mehr und die Kirchen hatten ursprünglich vorgehabt, sich nach fünf Jahren aus der Ausbildung der muslimischen Seelsorger zurückzuziehen. Rabia Bechari macht das Sorgen, da ihr Verein nur von Spenden lebt. Und seit wieder vermehrt Menschen in Deutschland einwandern, darunter auch viele Muslime, würden die Seelsorger ihres Vereins noch stärker gebraucht - auch, weil sie die vielen Sprachen der nach Deutschland zuwandernden Menschen sprechen.

"Wir müssen bei den Krankenhäusern oft klar sagen, dass wir keine Dolmetscher schicken können. Das überfordert uns, weil dafür unser ehrenamtliches Personal nicht ausreicht", sagt Rabia Bechari. Sowohl zur Versorgung als auch zum Schutz vor Radikalisierung wünscht sie sich, dass die deutsche Gesellschaft es sich leistet, den deutschen Islam zu stärken. Nur ein Beispiel: "In unserem Verein haben wir Erdogan- und Gülen-Anhänger und auch Kurden", sagt Rabia Bechari. "Und sie vertragen sich, wenn es um die Seelsorge geht." Die Standards sind klar und dienen dem Menschen. Es ist dieser Islam, den man sich für Deutschland nur wünschen kann.

Ob die Mutter nach der Fatwa des saudischen Gelehrten ins Wachkoma versetzt werden durfte? Nein. Aber Rabia Bechari hat dafür gesorgt, dass sich die Familie einen weiteren Rat einholte - den der Ärzte und der muslimischen Seelsorger vor Ort.