Diverse Lutherbiografien (Foto vom 10.10.16).
Foto: epd-bild/Heike Lyding
Die neuen Luther-Biografien zum 500. Reformationsjubiläum 2017 zeigen den Reformator vor allem von seiner menschlichen Seite.
Aktuelle Luther-Biografien: Freund der Hausmannskost und Feind der Juristen
Um Luthers Leben rankt sich ein reiches Legendenwerk. Die ersten Biografien kurz nach seinem Tod stellten den Reformator auf einen hohen Sockel. Moderne Historiker schauen auch auf das Alltagsleben.
18.10.2016
epd
Stephan Cezanne

Martin Luther (1483-1546) war nicht nur Theologieprofessor. Er hatte auch außerhalb seines Wirkens als Reformator zu fast jedem Lebensbereich eine Meinung - etwa zum Essen: "Ich lobe mir eine reine, gute, gemeine Hausspeise." Seine Lebensweisheiten gelten als Richtschnur: "Durch Schaden wird man klug" und "Des Menschen Wille ist sein Himmelreich". Luthers Rundumschläge sind legendär, etwa gegen Juristen, denn denen gehe es nur "ums Geld und nicht ums Recht". Die bekanntesten Weisheiten und Zitate des Reformators sind versammelt in "Habe ich nicht genug Tumult ausgelöst? - Martin Luther in Selbstzeugnissen" von Günter Scholz (C.H.Beck, München 2016). Zum 500. Reformationsjubiläum 2017 sind weitere Luther-Biografien erschienen, die den Reformator vor allem von seiner menschlichen Seite zeigen.

Wirtschaft und Welthandel statt Frömmelei und Fürstenfurcht

Luther sei mit einem Silberlöffel im Mund zur Welt gekommen, schreibt sein Biograf Joachim Köhler: Er "erblickte das Licht der Welt neun Jahre, bevor Columbus die neue Welt entdeckte". Nicht "Frömmelei und Fürstenfurcht standen an seiner Wiege Pate, sondern Wirtschaft und Welthandel", so der Autor zahlreicher Biografien über große Persönlichkeiten der deutschen Kulturgeschichte. In "Luther! - Biographie eines Befreiten" (Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2016) hebt Köhler hervor, dass Luthers Elternhaus - sein Vater war ein Unternehmer im Bergbau - zur Mansfelder Oberschicht gehörte. Dort "standen nicht das Wetter und die Ernte, sondern der Marktpreis von Edelmetall auf der Tagesordnung". Köhler schreibt den "großen Luther ins Herz, ohne den manchmal irrenden zu beschönigen", wirbt der Verlag.

Die Oxford-Historikerin Lyndal Roper interessiert sich für Luthers Ehe mit Katharina von Bora. "Er beschloss, den Teufel zu ärgern, indem er eine besonders große Sünde beging: Er heiratete", schreibt sie in "Luther - Die Biografie" (Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2016). "Überdies fiel die Wahl seiner Gattin so provokant aus wie irgend möglich, um den Teufel - und die Katholiken - in Rage zu bringen: Er heiratete eine Nonne", so Roper. Luthers Einstellung zur Sexualität war unverkrampft: Er machte häufig Witze über Sex und zeigte nichts von dem Abscheu vor dem weiblichen Körper, der für so viele Mönche charakteristisch war, vielleicht weil er mit jüngeren Schwestern aufgewachsen war".

Luther, der kränkelnde Rebell

So barock und robust Luther auf Bildern wirkt: Er hatte vor allem im späteren Leben mit zahlreichen Krankheiten zu kämpfen. Im Alter von 43 berichtet Luther von einem Anfall, "bei dem es sich offenbar um Angina Pectoris, eine Durchblutungsstörung des Herzens handelte; er hatte das Gefühl, bald sterben zu müssen", schreibt Willi Winkler in seiner Biografie "Luther - Ein Deutscher Rebell" (Rowohlt, Berlin 2016). Er leidet unter Drehschwindel und lästigen Geräuschen im Ohr. "Er verbringt seine letzten zwei Jahrzehnte mit wechselnden Beschwerden", weiß Winkler.

Luthers lange Krankheitsgeschichte endet schließlich in seinem Tod am 18. Februar 1546 in Eisleben im Alter von 62 Jahren. Augenzeugenberichte hielten genau jede Einzelheit des Sterbens fest, "um Luthers Ende als ein im Glauben selbstgewisses, ruhiges christliches Sterben zu dokumentieren, bis hin zu seinem letzten Atemzug zwischen zwei und drei Uhr, den alle Anwesenden als ruhig und angstfrei registrieren", schreibt der Historiker Heinz Schilling in seinem bereits als Standardwerk geltenden "Martin Luther - Rebell in einer Zeit des Umbruchs" (C.H.Beck, München aktualisierte Sonderausgabe 2016).

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Die Biografien zeigen auch viele der dunklen und abgründigen Seiten des Reformators. Viele Luther-Zitate wirken heute verstörend, vor allem seine antijudaistischen Ausfälle und seine Hetzschriften gegen die aufständischen Bauern. In einer liberalen Demokratie und Wohlfahrtsgesellschaft falle es leicht, Luther als totalitär und antijudaistisch abzukanzeln, gibt der pietistische Theologe Christoph Morgner zu bedenken. Doch man werde dem damaligen Geschehen nicht gerecht, wenn wir "unsere heutigen Denkmuster gleichsam als Lineal anlegen und dann vollmundige Urteile ausposaunen", so Morgner als Herausgeber des Bandes "Tinte, Thesen, Temperamente: Ein Lesebuch auf den Spuren von Martin Luther" (Brunnen Verlag, Gießen 2016).

"Luther lebte am Beginn der Neuzeit, und er war in seinem weltlichen Denken noch ganz im Spätmittelalter verwurzelt", heißt es im Nachwort zu "Martin Luther - Tischreden" von Christian Lehnert (Insel Verlag, Berlin 2016). So sei Luthers Haß auf die Bauern und auf die sozialen Unruhen seiner Zeit "ein Ausdruck schlichter, realistischer Angst". Aber gerade in seinen Tischreden rückt dem Leser der Mensch Luther über die zeitliche Kluft von 500 Jahren ganz nahe, etwa, wenn er über die Augen der Vögel sinniert, "über Schmetterlinge, über den Lichtschein einer Kerze, der durchs Schlüsselloch fällt, oder über einen Holzwurm".