Unbequeme Standpunkte scheinen ihm nichts auszumachen - im Gegenteil. Desmond Tutu, der frühere Erzbischof von Kapstadt und das Gewissen Südafrikas, schreckt vor kontroversen Themen nicht zurück. Gerne setzt er dabei seinen Humor ein, um Brücken zu bauen. Markenzeichen sind dabei sein ansteckendes Giggeln und die verschmitzten Augen. Am 7. Oktober wird er 85 Jahre alt - und ist immer noch hörbar.
Im Juni beispielsweise, als seine Tochter eine niederländische Ärztin heiratete, stellte er sich hinter die beiden - und ging damit gleichzeitig auch auf Distanz zu seiner Kirche. Mpho Tutu, eine Pfarrerin, musste ihr Amt aufgeben, weil die anglikanische Kirche Homosexuellen die Priesterweihe verweigert. Vater Desmond Tutu feierte bei der Hochzeit mit und sagte, er sei traurig über die Haltung seiner Kirche.
Schon lange fordert er die Gleichberechtigung von Homosexuellen, engagiert sich aber auch für das Recht auf Sterbehilfe und forderte die Anklage des früheren britischen Premierministers Tony Blair wegen Kriegsverbrechen im Irak. Er feuerte gegen Simbabwes Präsident Robert Mugabe und wurde dafür von diesem als "das Böse" tituliert. Und schließlich legte sich Tutu auch mit Südafrikas Regierungspartei ANC und Präsident Jacob Zuma an, denen er Korruption vorwarf.
1975 in Johannesburg zum ersten schwarzen Dekan berufen
Tutus Worte haben nicht zuletzt wegen seiner Biografie Gewicht. Er ist neben Nelson Mandela, dem ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas, der wohl berühmteste Kämpfer gegen die Apartheid. Während Mandela jahrzehntelang im Gefängnis saß, nutzte Tutu den Schutz, den ihm sein Amt gab, und erhob immer wieder seine Stimme gegen das Regime der Rassentrennung. Er lief bei Protestmärschen vorne mit, machte im Ausland auf die Menschenrechtsverletzungen in Südafrika aufmerksam und wurde dafür von der Apartheid-Regierung drangsaliert. Für seinen unermüdlichen Einsatz erhielt er 1984 den Friedensnobelpreis.
Geboren wurde Desmond Mpilo Tutu am 7. Oktober 1931 in einer kleinen Goldgräber-Stadt im Transvaal als Sohn eines Lehrers und einer Hausangestellten. Er wurde selbst Lehrer, gab den Beruf aber nach drei Jahren auf, weil die Apartheid-Regierung den "Bantu Education Act" verabschiedet hatte, der die Rassentrennung in allen Bildungseinrichtungen vorschrieb. Tutu studierte Theologie und wurde 1960 als Geistlicher der anglikanischen Kirche ordiniert.
In den darauffolgenden Jahren studierte und lehrte er in Großbritannien und Südafrika. 1975 wurde er in Johannesburg zum ersten schwarzen Dekan berufen, drei Jahre später zum Generalsekretär des südafrikanischen Kirchenrates gewählt. In dieser Zeit, als es in den Townships, den Schwarzenvierteln, zu Aufständen kam, wurde Tutu zum Vorkämpfer der Anti-Apartheid-Bewegung - auch wenn er stets betonte, keine politischen, sondern religiöse Motive zu verfolgen.
Wenn er ins Krankenhaus kommt, hält Südafrika den Atem an
Wenn ihm vorgeworfen wird, zu politisch zu sein, pflegt er zu sagen, sein Glaube verlange es zu handeln. "Wenn ein Hungernder zu Jesus kommt, sagt dieser nicht: 'Lass uns beten und auf Wiedersehen'", erklärte Tutu einmal. "Wenn ein Hungernder zu Jesus kommt, gibt er ihm zu essen."
1986 wurde Tutu Erzbischof von Kapstadt und damit der erste Schwarze an der Spitze der anglikanischen Kirche in Südafrika. Er unterstützte Anfang der 90er Jahre den friedlichen Übergang des Landes von der Apartheid in die Demokratie. Präsident Mandela, dessen Freund und Vertrauter er geworden war, ernannte Tutu schließlich zum Vorsitzenden der Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Aufarbeitung der Verbrechen während der Rassentrennung. 1990, als Mandela nach 27 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, nahm Tutu ihn die erste Nacht in Freiheit in seinem Haus auf.
Als Tutus Antrieb über die Jahrzehnte galt der Kampf für Gerechtigkeit, Gleichheit und Ausgleich: zwischen den Völkern und Geschlechtern, zwischen Schwarz und Weiß, Arm und Reich. Schwierigen Themen begegnet er gerne mit Humor, weil er von dessen Heilungskraft überzeugt ist. Er würde sich weigern, in einen homosexuellenfeindlichen Himmel zu gehen, sagte er einst. "Nein, sorry, aber da ginge ich lieber an den anderen Ort."
Auch Predigten und Reden eröffnet er regelmäßig mit einem Witz, oftmals mit einer Menge Selbstironie. "Gott war sehr klug, mir die Hautfarbe zu geben, die ich habe, so können Sie nicht sehen, wie sehr ich gerade erröte", sagte Tutu bei einer Preisverleihung und kicherte mit dem ganzen Körper.
1997 stellten die Ärzte Prostatakrebs bei Tutu fest. Zuletzt wurde er im September operiert. Wenn er ins Krankenhaus kommt, hält Südafrika jedes Mal den Atem an. Für das Land, das von wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen gebeutelt wird, ist Tutu seit dem Tod Mandelas die letzte moralische Instanz.