Klein hatte sie sich den von ihr gegründeten Verein "Place to be" vorgestellt. Elisabeth Ehninger wollte denen helfen, die in Dresden ankommen und fremd sind. Ihr Augenmerk galt zunächst ausländischen Wissenschaftlern und Studenten. Sie sollten sich möglichst schnell zurechtzufinden. Doch inzwischen ist aus dem Verein eine Bürgerbewegung geworden. Im Fokus stehen nun auch viele Flüchtlinge.
Auslöser war ein Konzert gegen Fremdenfeindlichkeit im Januar 2015, für das der Verein sich nur wenige Monate nach seiner Gründung engagierte. Rund 25.000 Menschen kamen auf den Dresdner Neumarkt vor der Frauenkirche, der zuvor mehrfach von der fremdenfeindlichen "Pegida"-Bewegung missbraucht wurde. Gestaltet wurde das Konzert von Prominenten wie Herbert Grönemeyer, Sarah Connor oder BAP-Sänger Wolfgang Niedecken. Plötzlich waren "Place to be" und ihre Gründerin Elisabeth Ehninger in aller Munde.
"Die Idee zum Konzert kam uns kurz nach Weihnachten unter Freunden", erzählt die schlanke Frau mit den wachen Augen. "Wir haben alle gelitten", fügt sie mit Blick auf das damalige rasante Anwachsen der "Pegida"-Bewegung hinzu. Ein sichtbares Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit musste her. Ohne ein "Riesennetzwerk" wäre es Ehninger zufolge aber nicht möglich gewesen so ein großes Projekt aus dem Boden zu stampfen. In nur etwa drei Wochen wurde alles organisiert.
Ankommen in Dresden: "Man musste schon wollen"
Ehninger kam 1994 mit ihrer Familie nach Dresden. Sie folgte ihrem Mann Gerhard Ehninger, der als Internist einen Ruf an die Universitätsklinik bekommen hatte. Sie hat es geschafft, sie ist integriert. Der Weg dorthin war nicht immer leicht. Am Montag (3. Oktober) wird die evangelische Christin im ökumenischen Gottesdienst in der Frauenkirche auch davon erzählen. Elisabeth Ehninger ist eine von mehreren Personen, deren Lebenswege zum Tag der Deutschen Einheit vorgestellt werden.
Vor der Berufung nach Sachsen lebte die Familie in der Nähe von Tübingen (Baden-Württemberg). "Wir hatten alles dort, ich habe mich sehr wohl gefühlt", sagt die heute 66-Jährige. Doch dann in den Osten, nach Dresden.
Sie kannte die Stadt bereits von 1990. Damals fuhr die Familie mit dem Wohnmobil durch einige Städte in Ostdeutschland, war auch in Dresden. "Die ersten Eindrücke waren schöne", sagt Ehninger. Den Kindern, zwei Söhnen und einer Tochter, habe es gefallen. Doch als die Familie nach Dresden zog, habe sie vor Ort nicht immer gute Erfahrungen gemacht, unter anderem bei den Behörden. Ein rauer Tonfall habe dort geherrscht - so kannte sie das zuvor nicht.
Ihr baden-württembergischer Dialekt verriet ihre Herkunft. Die Integratin in Dresden sei "etwas mühsam" gewesen.Oft habe sie ein Schubladendenken unter dem Stichwort "Wessi" erlebt. Ehninger weiß, wie es sich anfühlt, nicht willkommen zu sein. "Man musste schon wollen", beschreibt sie rückblickend ihren Umgang mit Skepsis und Ablehnung am neuen Wohnort. "Man musste sich jeden Tag sagen, ich will mich integrieren", erinnert sie sich.
Beeindruckt haben sie die "vielen kreativen Menschen", die sie kennengelernt hat. Diese Künstler und Musiker haben ihr geholfen. "Ich brauche jeden Tag Kreativität, um glücklich zu sein", sagt sie. Getröstet habe sie auch immer ein Blick von der Brühlschen Terrasse auf die Elbe und die Dampfschiffe. Dass sie heute in der Elbestadt "so viele Freunde" hat, lässt sie voller Überzeugung sagen: "Ja, Dresden ist meine neue Heimat."
"Ich bin ein Mensch, der wahnsinnig gern diskutiert"
Geboren wurde Ehninger 1950 in Calw (Baden-Württemberg). Sie erlernte den Beruf der Erzieherin. Nach ihrer Heirat kümmerte sie sich nicht nur um die eigenen drei Kinder sondern auch um die von Freunden. Ehrenamtlich arbeitete sie eine Zeit lang an der Volkshochschule. Inzwischen managt sie Firmengründungen in der medizinischen Forschung.
Es ist nicht ihre Art, untätig zu sein. Schon in den 80er Jahren engagierte sich Ehninger für Flüchtlinge. In Esslingen, wo die Familie damals lebte, nahm sie eritreische Flüchtlinge auf. Widerstände habe es aus der Bevölkerung damals nicht gegeben.
In Dresden engagierte sie sich einige Zeit auch im Kirchenvorstand einer evangelisch-lutherischen Gemeinde. Vermisst habe sie dort anfangs eine Diskussionskultur, mit der sie aufgewachsen war, die es aber im Osten wegen der einstigen Diktatur so nicht gab. "Ich bin ein Mensch, der wahnsinnig gern diskutiert", sagt Ehninger. Und sie bleibt dabei offen. "Ich kann meine Meinung während eines Gesprächs auch ändern", behauptet sie von sich.
Das Flair und die Kunst in Dresden begeistern sie noch immer. Aber "die Schönheit und das Wohlbefinden sind durch die Aggressivität schon beeinträchtigt", sagt Ehninger mit Blick auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Stadt. Das trage dazu bei, dass "man sich nicht mehr so geborgen fühlt".
"Meet new friends" - die Türen sind offen
Sie sei sich bewusst, dass sie "nicht die ganze Welt retten kann, aber ansetzen im Kleinen, das können wir", sagt sie. "Ich wünsche mir dass die Polarisierung aufhört. Das hasserfüllte aufeinander Losgehen führt doch zu nichts", fügt sie hinzu. Es gebe doch "eine Mehrheit, die Dresden voranbringen will". Aber diese sei eben nicht so oft sichtbar, sie arbeite eher im Verborgenen.
Etwas voranbringen will auch der Verein "Place to be". Nur etwa 20 Mitglieder hat er. Aber mehr seien gar nicht nötig, es werde auf Netzwerke gesetzt. "Außerdem haben wir viele Paten, die uns unterstützen", sagt Ehninger. Sie begleiten zum Beispiel bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Sie unterstützen beim Deutschlernen, bei der schulischen und beruflichen Entwicklung.
Klein ist ihr Verein nur noch auf dem Papier. "Place to be" hat mit vielen Aktionen Türen geöffnet und Begegnungen organisiert, nicht zuletzt im Januar beim Begegnungsfest "Meet new friends" für Flüchtlinge und Einheimische im Dresdner Albertinum. Im Februar erhielt Ehninger den Bürgerpreis der deutschen Zeitungsverleger. Bei der Verleihung würdigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Ausgezeichnete: "Sie haben einen Beitrag geleistet, dass die Menschen, wenn sie nach Dresden schauen, nicht nur 'Pegida' sehen."
Der ökumenische Fernsehgottesdienst zum Tag der Deutschen Einheit mit dem Titel "Wer aufbricht, kann hoffen" findet am Montag, 3. Oktober 2016, ab 10 Uhr in der Dresdner Frauenkirche statt und wird live im ZDF übertragen.