De Maizière: "Die Muslime gehören zu Deutschland"
Der Dialog zwischen Staat und Muslimen in der Islamkonferenz feiert am Dienstag sein zehnjähriges Bestehen. Der Islam ist seitdem stärker in den Institutionen angekommen, gleichzeitig gehen Rechtskonservative mit Islamfeindlichkeit erfolgreich auf Stimmenfang. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über die Zukunft der Islamkonferenz, die Rolle der muslimischen Verbände und das geplante Burka-Verbot.
23.09.2016
epd
epd-Gespräch: Corinna Buschow

Berlin (epd). epd: Herr Minister, 2006 rief der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Deutsche Islamkonferenz ins Leben. Wie steht es zehn Jahre später um den Dialog zwischen Staat und Muslimen in Deutschland?


Thomas de Maizière: Die Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz war eine wegweisende Entscheidung um einen Dialog in Gang zu setzen, den es zuvor nicht gab. In der Islamkonferenz wurden viele wichtige Themen besprochen, es wurden auch Tabus gebrochen. Beispielsweise wurden wichtige Empfehlungen etwa für den Religionsunterricht an staatlichen Schulen und die Ausbildung von Religionslehrern gegeben, raus aus den Hinterhöfen, rein in die Schulen. In den zehn Jahren seit Gründung hat sich die Situation aber auch sehr verändert. Deswegen möchte ich das Jubiläum auch für eine Diskussion darüber nutzen, wie das Format weiter entwickelt wird.

Über Sicherheit sprechen

epd: Was heißt das konkret?


de Maizière: Wir müssen auf Veränderungen reagieren. Das betrifft erstens die Zusammensetzung der Gruppe der Muslime in Deutschland. Vor zehn Jahren hatten wir eine klare Mehrheit türkischstämmiger Muslime. Das wird jetzt durch die Flüchtlinge vielfältiger. Zweitens ist der islamistische Terrorismus, der sich missbräuchlich auf den Islam beruft, noch stärker geworden. Es gab drittens lange einen Disput darüber, ob Sicherheitsthemen Teil der Islamkonferenz sein sollten. Derzeit gibt es zwar die Dialogplattform "Gemeinsam sicher leben", über die auf Bitten der Islamverbände aber nicht groß gesprochen wird. Das halte ich inzwischen für falsch. Wir müssen gerade auch im Interesse der Verbände auch bei der Islamkonferenz öffentlich über Sicherheit reden. Und viertens hat sich die politische Beeinflussung religiöser Inhalte aus dem Ausland verändert.


epd: Damit sprechen Sie den Verband Ditib an, der der türkischen Religionsbehörde nahesteht und insbesondere nach dem Putschversuch in der Türkei unter dem Verdacht steht, unter Muslimen in Deutschland Stimmung für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zu machen. Halten Sie an einer Zusammenarbeit mit dem Verband in der Islamkonferenz fest?


de Maizière: Ditib als größter Islam-Verband in Deutschland kämpft seit Jahren darum, als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden Das verträgt sich nicht mit einer Agenda, die primär auf politische Einflussnahme zielt, zum Beispiel politische Einflussnahme auf Predigtinhalte, die sich gegen unsere freiheitliche Lebensweise und unsere Grundwerte richten. Ich weiß, dass Ditib intern darüber diskutiert. Ich möchte dabei diejenigen ermuntern, die einen eigenen, maßvollen Kurs ansteuern. Ein pauschaler Ausschluss würde die Falschen ermutigen.

Schon immer Vorbehalte gegenüber dem Islam

epd: Was ist der größte Erfolg der Islamkonferenz?


de Maizière: Die Etablierung einer Dialogplattform. Ich glaube, dass wir das Thema Religion in Deutschland insgesamt in seiner Bedeutung unterschätzt haben. Die Deutsche Islamkonferenz ist ein wichtiger Beitrag, frühzeitig und vorbeugend über diese Rolle zu reden.


epd: Gleichzeitig triumphiert die rechtskonservative AfD mit fremden- und islamfeindlichen Tönen bei Wahlen. Gelingt es Ihnen nicht, diesen Erfolg der Islamkonferenz zu vermitteln?


de Maizière: Vermutlich gab es immer schon Vorbehalte gegenüber dem Islam. Jetzt, wo Probleme durch die große Zahl der Flüchtlinge und den internationalen Terrorismus sichtbarer geworden sind, tritt die Islamfeindlichkeit nur stärker hervor. Dagegen anzugehen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auch der christlichen Kirchen oder derer, die nicht religiös sind. Vielleicht wäre es noch wirksamer, wenn es nicht die eine Islamkonferenz auf Bundesebene, sondern viele Islamkonferenzen auf regionaler Ebene gäbe.


epd: Sie haben die Islamkonferenz neu aufgestellt. Beraten wird jetzt vor allem sachbezogen und nicht-öffentlich. Dadurch erfährt aber auch die Öffentlichkeit weniger über Ergebnisse. Was haben Sie in dieser Wahlperiode erreicht?


de Maizière: Wir hatten uns zwei große Themen vorgenommen: Wohlfahrtspflege und Seelsorge. Zum Thema Wohlfahrtspflege haben wir eine Empfehlung veröffentlicht. Es soll eine zentrale Anlaufstelle für die Organisation entsprechender Einrichtungen geben - ohne einen Gegensatz zu den großen Verbänden Diakonie und Caritas zu erzeugen. Zum Thema Seelsorge wird es im Frühjahr eine Empfehlung geben. Wir brauchen zum Beispiel eine gute muslimische Gefängnisseelsorge, wenn wir etwa die terroristischen Gefährder oder muslimischen Straftäter in deutschen Haftanstalten sehen. Sie sollen nicht radikalisierter herauskommen als sie hereingegangen sind. Wenn wir außerdem wollen, dass Menschen muslimischen Glaubens bei der Polizei oder Bundeswehr ihren Platz finden, dann ist Seelsorge dort auch von zentraler Bedeutung.

Pflicht der Verbände

epd: Wie soll die finanziert werden?


de Maizière: Wir haben zum Beispiel bei der Krankenhausseelsorge Modellprojekte und stellen Geld zur Verfügung. Ich setze darauf, dass es von Muslimen aus dem Inland selbst einen höheren Beitrag zur Finanzierung für eigene seelsorgerische Dienstleistungen gibt als bisher. Bei der Gefängnisseelsorge liegt es an den Ländern zu prüfen, wie stark sie diese finanzieren wollen.


epd: Wie groß ist die Bedeutung der Islam-Verbände in der Flüchtlingshilfe?


de Maizière: Die Integration ist eine Chance, aber auch eine Verpflichtung für die hier lebenden Muslime. Wenn sie das nutzen, können sie ihre Reichweite erhöhen und der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland zeigen, dass sie bei der Integration mitwirken. Wenn sie das nicht tun, bestätigen sie Vorurteile, die manche ihnen gegenüber haben. Es ist im Interesse der Verbände auch über die bestehende Förderung des Bundes hinaus hier mehr zu tun als bisher.


epd: In der Öffentlichkeit scheint die Debatte um den Islam auf Symbole wie die Burka reduziert. Ist das nicht verkürzt?


de Maizière: Wenn die Bevölkerung das diskutiert, kann man nicht sagen, es sei nur eine Symboldebatte. Die Diskussion reicht aber tiefer. Es geht um die Grenze zwischen Ausübung der Religionsfreiheit und der Sorge vor einem schleichendem Veränderungsprozess unserer Lebensweise in Deutschland. Ich habe Respekt vor jeder Religionsausübung, sie darf aber anderen nicht aufgedrückt werden, gegen die Menschenwürde oder geltendes Recht verstoßen. Ein Ehrbegriff aus religiösen Gründen darf nicht zu Gewalt führen. Im Ausland geschlossene Ehen von Minderjährigen dürfen wir hier nicht akzeptieren. Wo das Zeigen des Gesichts von der Funktion her geboten ist, müssen wir das durchsetzen.

Streit befördert den Dialog

epd: Sie plädieren für ein Burka-Verbot in bestimmten Bereichen. Ist der Gesetzentwurf bereits in Arbeit?


de Maizière: Ja, wir erarbeiten Regelungen für Bereiche, in denen der Bund zuständig ist. Da geht es um den öffentlichen Dienst oder bestimmte Regelungen im Straßenverkehr. In wichtigen Bereichen wie Schule oder Universität sind die Länder zuständig.


epd: Ein Erfolg der Islamkonferenz sind auch die Lehrstühle für islamische Theologie. Welche Hoffnungen auf eine Reform des Islam verbinden Sie damit?


de Maizière: Ich kann als Christ, Jurist und Verfassungsminister keine theologischen Aussagen zum Islam machen. Ich wünsche mir, dass es unter Muslimen eine theologische Debatte darüber gibt, wie sich religiöse Regeln mit denen eines aufgeklärten Staates vertragen. Ich vermisse bei manchen Muslimen Streitkultur, wie es sie in der Politik oder unter den christlichen Kirchen gibt. Wird gestritten, heißt es schnell: "Das ist unislamisch". Dabei ist das gerade ja oft die Frage. Ein streitiger Dialog beschädigt den Islam nicht, sondern befördert seine Akzeptanz.


epd: Zum Schluss noch die Frage: Gehört der Islam zu Deutschland?


de Maizière: Wir haben doch gerade gelernt, dass die Überhöhung von Sätzen nicht der Sache dient. Ich verwende den Satz: Die Muslime gehören zu Deutschland. Millionen von ihnen sind Teil unseres Lebens. Wenn es aber um eine langjährige innere Zugehörigkeit und Tradition geht, würde ich sagen: Nein, so weit ist es noch nicht.