Sozialverbände fordern deutlich höheren Hartz-IV-Regelsatz
Alle fünf Jahre müssen die Hartz-IV-Regelsätze neu berechnet werden. Das Arbeitsministerium plant für Erwachsene eine Erhöhung um fünf Euro. Der Paritätische Gesamtverband fordert hingegen 116 Euro mehr, die Diakonie sogar 152 Euro mehr.

Berlin (epd). Sozialverbände dringen auf eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Leistungen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert einen Regelsatz von 520 Euro für Erwachsene, die Diakonie sogar von 556 Euro. Die vom Bundesarbeitsministerium geplante Erhöhung zum Jahreswechsel von derzeit 404 auf 409 Euro sei wegen willkürlicher Eingriffe in die Statistik nicht haltbar, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, am Dienstag in Berlin. Neben methodischen Fehlern habe das Ministerium zudem offenbar fast ausschließlich das physische, nicht aber das soziokulturelle Existenzminimum im Blick gehabt.

"Wer hingeht und sogar Cent-Beträge für die chemische Reinigung, Grabschmuck oder Hamsterfutter streicht, hat sich vom Alltag der Menschen ganz offensichtlich längst verabschiedet", sagte Schneider. Der Paritätische Gesamtverband fordert darüber hinaus eine Überprüfung der Kinderregelsätze durch eine Expertenkommission. Die Berechnungen des Ministeriums seien in diesen Fällen "wissenschaftlich nicht belastbar und extrem fehlerbehaftet". Die vorliegenden statistischen Daten seien in ihrer Menge zu klein, erklärte Schneider. Seriöse Kindersätze ließen sich auf dieser Basis nicht ermitteln.

Pauschales System reformieren

Auch nach Auffassung der Diakonie ist die von der Bundesregierung geplante Erhöhung der Hartz-IV-Sätze deutlich zu niedrig. Die Regelsätze für Erwachsene müssten nicht von derzeit 404 Euro auf 409 Euro erhöht werden, sondern auf 556 Euro, erklärte der evangelische Wohlfahrtsverband am Dienstag auf Anfrage. "Aus unserer Sicht sind die Bedarfsberechnungen der Bundesregierung unsachgemäß", sagte der Armutsexperte des Verbandes, Michael David, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Auch bei den Kindern und Jugendlichen habe die Bundesregierung die Sätze kleingerechnet, erklärte die Diakonie. So sei der Satz für Kinder unter sechs Jahren mit unverändert 237 Euro im Monat "eindeutig um fast 40 Euro zu gering", sagte David. Bei weiteren knapp 80 Euro bleibe unklar, wie die Bundesregierung zu ihren Summen gekommen sei. Auch der Satz für Kinder zwischen sechs und 14 Jahren sei mit 291 Euro um 40 Euro zu niedrig. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren (311 Euro) fehlen nach Berechnungen der Diakonie mindestens 72 Euro.

Der evangelische Verband wirbt dafür, das System der pauschalen Hartz-IV-Sätze, die den gesamten Konsumbedarf eines Empfängers abdecken sollen, zu reformieren. "Für bestimmte Ausgaben sind sogenannte Sonderleistungen besser geeignet", sagte David. Diese Sonderleistungen erhalten die Hartz-IV-Bezieher nur bei aktuellem Bedarf, etwa für den Kauf einer Waschmaschine oder eines Kinderfahrrades.

Neue Regelsätze ab 2017

Die Opposition im Bundestag hält die Hartz-IV-Leistungen ebenfalls für zu niedrig. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) leiste "durch gezieltes Kleinrechnen der Hartz-IV-Regelsätze Beihilfe zur aktiven Verarmung breiter Bevölkerungsschichten", sagte die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping. Für den sozialpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn, sind "die Expertisen der Sozialverbände eine schallende Ohrfeige" für die Bundesregierung.

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert insbesondere eine Reform der Regelsatzberechnung für Kinder und Jugendliche. "Die statistischen Fehlerquellen haben ein Maß erreicht, das ein alternatives System notwendig macht", sagte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann.

Die neuen Regelsätze sollen ab dem 1. Januar 2017 greifen. Sie müssen alle fünf Jahre neu berechnet werden, wenn die Ergebnisse der jeweils jüngsten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorliegen.