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TV-Tipp: "Kommissarin Heller: Nachtgang" (ZDF)
17.9., ZDF, 20.15 Uhr: "Kommissarin Heller: Nachtgang"
Es gibt derart wenige deutsche Filme, die sich mit dem Mikrokosmos Polizei beschäftigen, dass man sie alle aufzählen könnte, ohne den Rahmen zu sprengen. Näter und Balthasar zeigen in "Kommissarin Heller" diesen Mikrokosmos auf denkbar düstere Weise - das zeigt zwar das Potenzial der Reihe, wird aber die Fans der Romane womöglich recht enttäuschen.

Das deutsche TV-Publikum hat traditionell eine gewisse Abneigung gegen Filme, in denen die Polizei nicht dein Freund und Helfer ist, sondern selbst Dreck am Stecken hat. Nicht nur deshalb ist "Nachtgang", die sechste Episode der sehenswerten ZDF-Reihe "Kommissarin Heller", ein ungewöhnlicher Film: Titelheldin Winnie Heller (Lisa Wagner) gelangt schließlich an einen Punkt, an dem sie niemandem mehr vertrauen kann; selbst ihr Partner Hendrik Verhoeven (Hans-Jochen Wagner), den sie nach anfänglicher gegenseitiger Distanz fast für einen Freund hielt, scheint sich mit den Kollegen gegen sie verschworen zu haben. Und so entwickelt sich der Film nicht nur zum Thriller, sondern auch zu einem Lehrstück in Sachen Mobbing: Die Wiesbadener Kommissarin wird konsequent isoliert, weil sie den Täter nicht wie der Rest des Reviers im Drogenmilieu, sondern in den eigenen Reihen vermutet.

Das Drehbuch stammt vom Krimispezialisten Thorsten Näter, der seine Vorlagen sonst meist selbst realisiert. "Nachtgang" ist die erste Folge, die nicht auf einem Roman, sondern nur noch auf den Figuren von Silvia Roth basiert, aber die ersten fünf Filme sind ohnehin schon recht frei mit den Büchern umgegangen. Bei der Schriftstellerin sind Heller und Verhoeven gleichberechtigte Hauptfiguren, in den Adaptionen steht die Kommissarin eindeutig im Vordergrund, was diesmal sogar zur Folge hat, dass das Privatleben des Kollegen den Fluss der Handlung stört: Seine Tochter ist beim Ladendiebstahl ertappt worden. Erst später zeigt sich, warum auch diese Nebenepisode stimmiger Teil des klugen Konzepts ist, denn Näters Thema ist letztlich die Frage, wie weit Loyalität gehen darf oder gehen muss; und wann Polizisten eine rote Linie überschreiten.

Kommissarin randaliert am Kaffeeautomaten

Der Film beginnt allerdings ganz anders. Regisseurin Christiane Balthasar hat bislang sämtliche Folgen der Reihe gedreht und gibt mit dem packenden Einstieg, der auch Auftakt zu einem Horrorfilm sein könnte, Stimmung, Tonfall und Tempo vor: Eine verwirrte Frau taumelt in Panik durch die Straßen, die Musik von Johannes Kobilke treibt sie regelrecht vor sich her; nur mit Mühe können zwei Polizisten sie in Gewahrsam nehmen. Mit der eigentlichen Geschichte hat dieser Prolog nichts zu tun, aber dank Inszenierung, Schnitt und Musik beginnt "Nachtgang" auf einem eindrucksvoll hohen Spannungsniveau. Dass die Regisseurin die Intensität dieser Szene im Verlauf des Films sogar noch steigert und verdichtet, macht "Nachtgang" zu einem äußerst bemerkenswerten Krimi.

Der erste Einsatz der Hauptfigur ist im Grunde ein zweiter Prolog und wirkt, als ob Näter die Figur für sich selbst neu erschaffen hätte: Bei einer aufwändigen SEK-Aktion sorgt die Kommissarin mit einem verblüffenden Auftritt dafür, dass ein schon lange gesuchter Gangster verhaftet werden kann. Als der Mann auf sie schießt, ist sie wie paralysiert; Verhoeven macht ihr klar, dass er keine Kollegin brauchen kann, die offenbar lebensmüde ist. Aber Heller ist nicht suizidgefährdet, sondern bloß durch den Wind, weil heute der Todestag ihrer Schwester ist. Dissozial aber ist sie auch an anderen Tagen, und dafür hat Näter ebenfalls eine prägnante Szene: Das Präsidium feiert am Abend den Abschied eines verdienten Kollegen, dessen Name Heller gar nichts sagt, obwohl sie laut Verhoeven seit drei Jahren mit ihm zusammenarbeitet. Während der Rede des Polizeichefs randaliert die mittlerweile schon recht angetrunkene Kommissarin am Kaffeeautomaten. Mitten hinein in die Feier kommen zwei Meldungen: Es gibt eine Schlägerei in einem Club und verdächtige Vorkommnisse in einer alten Fabrik. Vier Streifenpolizisten rücken aus; eine Beamtin wird in der Fabrik schwer verletzt und später sterben. Die Spur scheint ins Dorgenmilieu zu führen, aber Heller ahnt, dass etwas völlig anderes dahintersteckt. Sie setzt sich über das ausdrückliche Verbot ihrer Vorgesetzten hinweg und ermittelt gegen die eigenen Kollegen. Bislang war sie nur Außenseiterin; nun wird sie behandelt wie eine Aussätzige und schließlich sogar krankenhausreif geprügelt. Viel mehr schmerzt sie jedoch der Eindruck, dass nicht mal Verhoeven zu ihr hält; dabei ist er in Wirklichkeit der einzige, der auf ihrer Seite steht.

Im Einsatz taucht ein Spielzeugpolizeiauto auf

Schon die Geschichte ist ungewöhnlich, zumal Näters Drehbuch diverse Details enthält, die auf den ersten Blick bedeutungslos erscheinen, sich aber schließlich zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammensetzen. Dass beispielsweise Hellers Blick beim Abschiedsfest auf nächtliche Schweißarbeiten auf der Straße fällt, hat später maßgeblichen Einfluss auf ihre Erkenntnis, dass einige Kollegen Dreck am Stecken haben. Zum herausragenden Reihenkrimi wird "Nachtgang" durch Balthasars Inszenierung, weil sie Näters Drehbuch gemeinsam mit ihrem bevorzugten Kameramann Hannes Hubach in kongeniale Bilder verwandelt hat. Bis auf wenige Ausnahmen zieht sich gerade in den Nachtaufnahmen eine bläuliche Kälte durch den Film. Selbst Verhoevens Zuhause wirkt durch den Verzicht auf warme Farben alles andere als heimelig, weshalb die Stimmung nach dem Diebstahl der Tochter in jeder Hinsicht frostig ist. Auch die Tonspur spielt eine wichtige Rolle, und das nicht nur, wegen Kobilkes spektakulärer Musik. Immer wieder drängen sich die Geräusche in den Vordergrund und sorgen mitunter sogar für unerwartete Heiterkeit, als mitten im SEK-Einsatz zu Beginn ein kleiner Junge mit einem ferngesteuerten Spielzeugpolizeiauto samt lautem Martinshorn auftaucht.

Es gibt derart wenige deutsche Filme, die sich mit dem Mikrokosmos Polizei beschäftigen, dass man sie alle aufzählen könnte, ohne den Rahmen zu sprengen. Wollte man dennoch von einer Tradition sprechen, so beginnt sie mit Dominik Grafs sträflich unterschätztem Kinofilm "Die Sieger" (1994). Weitere Werke wären unter anderem die gleichfalls vom Publikum verschmähte Sat.1-Reihe "Blackout - Die Erinnerung ist tödlich" (2008), Philipp Leinemanns formidables Regiedebüt "Wir waren Könige" (2014) oder zuletzt Lars Beckers Krimis "Unter Feinden" und "Zum Sterben zu früh". Dass Näter und Balthasar nun "Kommissarin Heller" nutzen, um diese Tradition auf denkbar düstere Weise aufzugreifen, zeigt zwar das Potenzial der Reihe, wird aber die Fans der Romane womöglich recht enttäuschen.