Auf evangelischen Kirchentagen strömten Zehntausende Menschen zu seinen Vorträgen und Bibelarbeiten. Hunderttausende versammelte der Theologe Jörg Zink beim "Wort zum Sonntag" vor den Fernsehschirmen. Und mit weltweit rund 20 Millionen verkauften Exemplaren war der am 9. September in Stuttgart im Alter von 93 Jahren gestorbene Verfasser von fast 200 Büchern einer der bekanntesten evangelischen Autoren der Gegenwart.
Von 1970 bis zuletzt 2011 in Dresden belebte Jörg Zink die Kirchentage, vor allem in den 80er Jahren. So mussten er und der Flötist Hans-Jürgen Hufeisen 1981 in Hamburg auf die Moorweide umziehen, weil 40.000 Menschen sie hören wollten. Damals habe sich die Friedensbewegung etabliert, der konziliare Prozess sei in Gang gekommen, die Bewegung der Kirchen zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, sagte er. Grundsätzlich sei ein Kirchentag "eine evangelische Gegenkraft gegen eine nur verwaltete, nur bewahrende Kirche", wird Jörg Zink auf seiner Internetseite zitiert.
"So wichtig finde ich Luther nicht"
In den vergangenen Jahren war es ruhiger geworden um den alten Mann mit dem wallenden weißen Haar. In den Jahren vor seinem 90. Geburtstag hatte er einen Herzinfarkt und mehrere Hirnschläge. Die Auszeichnung "Ehrenprofessor des Landes Baden-Württemberg" überreichte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dem Theologen im Februar 2015 in dessen Wohnhaus. Dennoch publizierte Jörg Zink bis in das laufende Jahr hinein. Er hinterlässt seine Frau Heidi, drei Töchter und einen Sohn.
Geboren wurde Jörg Zink am 22. November 1922 in Elm in Hessen. Vielleicht war es eine Begegnung im Zweiten Weltkrieg, die seinen Glauben prägte: In einem Gefängnis sah er einen zum Tode verurteilten Franzosen, der den Deutschen mit einem Lächeln begegnete. "Helden hatte ich genug gesehen, aber nicht einen Menschen, der so seinem Todfeind gegenüber stand. So ohne jeden Hass", erinnerte sich Zink. Er selbst las intensiv im Neuen Testament und rang sich durch, in Tübingen Theologie zu studieren.
In den 50er Jahren war Zink Repetent am Evangelischen Stift in Tübingen, danach schrieb er die Doktorarbeit "Der Kompromiss als ethisches Problem". Er sprach schon über Umweltschutz und Pazifismus, als von einer Partei der Grünen noch nirgends in Deutschland die Rede war - 1979 trat er der jungen Partei bei. Den Kampf gegen Kapitalismus, Rüstung, Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung der Natur sah er dort beheimatet.
Zinks Hingabe galt der Heiligen Schrift. Das Neue Testament und ausgewählte Abschnitte des Alten Testaments übersetzte er in den 60er Jahren neu. Das Übersetzen sei eine Arbeit an Bildvorstellungen, sagte er später: "Wenn heutige Hörer und Leser dasselbe vor Augen haben, was Menschen vor zwei- oder dreitausend Jahren gesehen haben, dann ist die Übersetzung gelungen."
Seine Kirche warnte Jörg Zink immer wieder davor, Stabilität, Geld und Ämter in den Mittelpunkt ihres Denkens zu stellen. Selbst das Ringen um ein protestantisches Profil fand wenig Gegenliebe. Zum 2017 anstehenden Reformationsjubiläum heißt es auf seiner Internetseite: "So wichtig finde ich Luther nicht." Luther sei "ja nur einer, der eine bestimmte Aussage modernisiert wiedergegeben hat". Zukunftsfähig ist seiner Ansicht nach in einer globalisierten Welt nur ein gemeinsames Profil aller Christen - am Besten gepaart mit einem Bündnis aller Religionen für Gerechtigkeit und Menschenrechte.
Der wissenschaftlichen Theologie stand Zink eher distanziert gegenüber: "Ich konnte mir schlechterdings nicht vorstellen, dass die Bauern und Fischer und Hausfrauen von Galiläa den Worten Jesu hätten folgen können, hätte Jesus die Art Theologie von ihnen verlangt, die wir heute unseren Hörern zumuten."
In "Die Stille der Zeit. Gedanken zum Älterwerden" warnte Zink 2012 vor Passivität im Alter. Senioren sollten für gerechte Anliegen demonstrieren, Briefe schreiben, im Internet veröffentlichen. Sein Rat auch für die letzten Lebensjahre: "Lebe sichtbar und spürbar, lebe öffentlich."