Videospiele gibt es seit mehr als 40 Jahren, aber das Wort "Gamer" steht immer noch ziemlich allein auf weiter Flur. Wie nennt man Menschen, die gern ins Theater gehen? Wie nennt man Menschen, die jede Woche im Kino sind? Welches spezifische Wort gibt es für Menschen, die Bücher lieben? Theaterfreund, Filmfan, Bücherwurm – mit keinem dieser Wörter identifizieren sich Menschen so sehr wie mit der Bezeichnung "Gamer". Dabei weiß niemand genau, was einen "Gamer" ausmacht. Im weitesten Sinne sind das Menschen, die Videospiele mögen. Im engeren Sinne ist es ein vorurteilsbeladenes Klischee, mit dem sich Menschen schmücken, die ihre "ich-aber-du-nicht"-Attitüde in der eigenen Nische unbedingt verteidigen wollen.
Das "Gamer"-Sein findet seinen Höhepunkt jedes Jahr auf der Gamescom, der größten Spielemesse der Welt. Hunderttausende eher junge Menschen schlurfen durch die Messehallen in Köln, beschallt von wummernden Bässen und mit einem riesigen Lächeln im Gesicht. Denn auf der Gamescom ist es nicht nur selbstverständlich, "Gamer" zu sein, es ist auch cool. Die Gamescom ist eine ständige Bestätigung, dass es völlig normal ist, einen Controller mit 16 Tasten und zwei omnidirektionalen Mini-Joysticks bedienen zu können, ohne hinzugucken.
Jeder, der auf der Gamescom ist, weiß: Die anderen hier sind genau wie ich. Zumindest ein bisschen. Das ist bei jeder Nischen-Zusammenkunft so, nur dass Videospiele schon längst keine Nische mehr sind, sondern eine weltweite Milliardenbranche. Gamescom macht glücklich, das sieht man, wenn man in die Gesicher der Menschen schaut, die durch die Hallen schlendern und einen kleinen Blick in die Zukunft der Spielewelt werfen dürfen.
Die Aufgabe ist der Schutz der Nutzer
Warum aber ist ein kleiner Teil dieser "Gamer" so hart gegen andere Menschen? Die Frage wollte auch das Panel "Digitaler Hass" beim Kongress klären, der die Gamescom jedes Jahr begleitet. "Hate Speech", Hassreden von Beleidigung bis Rassismus, war das Thema, das jeden im Internet beschäftigt - und wie sich herausstelle, ist das wirklich kein Problem, dass nur speziell Videospieler betrifft.
"Die Konflikte, die bei uns auftreten, sind die, die auch am Wochenende auf dem Fußballfeld in Amateurklassen auftreten", sagt David Hiltscher, der bei Turtle Entertainment die "Gaming Communities" betreut. Dazu gehört auch die ESL, die größte deutsche E-Sports-Liga. Es geht um Ranglisten, Punkte, Geld: "Wir müssen uns mit dem ganzen Spektrum von kritischen Äußerungen auseinandersetzen, von Beleidigungen bis zu Hate Speech im schlimmsten Fall", erläutert Hiltscher bei dem Panel. Hassrede wie Rechtsextremismus und Antisemitismus sei aber kein alltägliches Thema, das ist auch bei den Wettbewerbsspielern eher ungewöhnlich.
Trotzdem ist die Aufgabe der Plattformen, die diese Interaktionen zwischen Spielern ermöglichen, vor allem der Schutz ihrer User. "Wer selbst betroffen ist, ist schnell überfordert durch das Gefühl: Das sind sehr viele, die gegen mich anreden, deswegen ziehe ich mich jetzt zurück", erläutert Sami David Rauscher, der für die "Neuen Deutschen Medienmacher" beim Projekt "No Hate Speech" mitarbeitet. Die Kampagne wird vom Europarat unterstützt und will mit aktiver Gegenrede die Betroffenen im Internet unterstützen. Dazu gehört unter anderem die Aufforderung, die Angegriffenen mit ermutigenden Kommentaren zu unterstützen.
Alternativ bietet das "No Hate Speech Movement" sprechende Bilder an, so genannte "Memes", mit denen Nutzer direkt auf andere im Internet reagieren können. Diese Bilder sind teilweise auch provokativ, aber Rauscher erklärt, dass eine Deeskalation einer Diskussion zweitrangig ist. Es geht viel eher darum, den Angreifern den öffentlichen Raum streitig zu machen: "Es ist wichtig, dass es eine Öffentlichkeit gibt, die klar macht: Wenn jemand angegriffen wird, stehen wir hinter dir." Mit der Kampagne "No Hate Speech" sollen möglichst viele Menschen motiviert werden, zu zeigen, "dass wir viele im Netz sind, die gegen Hass sind und diese Sprache nicht übernehmen wollen".
In den Alltag ist "No Hate Speech" noch nicht gewandert
Eine Option ist auch immer, die betreffenden Beiträge zu melden. Bei kleineren Plattformen wie der ESL funktioniert das, bei den ganz großen Social-Media-Plattformen wie Facebook ist den Hassreden aber nur schwer beizukommen. "Das Wichtigste ist: Wir reden über den Gebrauch von Sprache im Netz. Was wir beobachten ist, dass die Spielregeln, die wir im analogen Alltag haben, im Netz verschoben werden", beobachtet Marc Jan Eumann, für die nordrhein-westfälische SPD in der "No Hate Speech"-Kampagne aktiv. Dafür neue Regeln auszuhandeln, sei die Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft, sagt der Politiker.
In der Praxis ist das aber noch nicht so weit, sagt Eumann, vergleichbar mit Medienkompetenz: "Es hat zehn Jahre gedauert, bis Medienkompetenz aus den Sonntagsreden in den Alltag wanderte." Auch Medienkompetenz habe sich von "Technikkompetenz" weiterentwickelt zu einer Diskussion über den Umgang mit Inhalten. "Influencer", wie die YouTube-Promis und Internet-Stars heute heißen, könnten seiner Meinung nach einen Anfang dafür machen, weil sie Vorbilder für die Nutzer sind.
YouTuber und Gamer sind zwei eng verwobene Gruppen, das merkt man jedes Jahr auf der Gamescom, wo Tausende ihren YouTube-Helden bei den Auftritten in den Messehallen zujubeln. Trotzdem, meint ESL-Community-Betreuer Hiltscher, ist die Gruppe der "Gamer" viel zu heterogen, um gemeinsame Regeln für die ganze Zivilgesellschaft zu finden: "Dafür ist Gaming eine zu breite Nische." Es gibt ja nicht nur die E-Sportler. Zwischen Handy-Spielen, dutzenden Genres von Sport über Shooter bis Strategie, Online- oder Offline-Gamern hat jeder Videospieler sein (oder ihr) eigenes Interesse. Auf der Gamescom treffen sie sich alle, aber nur für ein paar Tage. Mehr als ein Poster und ihre Erlebnisse nehmen sie nicht mit. Bis sich das Engagement gegen "Hate Speech" von einem Panel auf dem Gamescom-Kongress auf die Massen von Besuchern überträgt, werden noch ein paar Jahre vergehen.