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TV-Tipp: "Gefangen im Paradies" (Sat.1)
6.9., Sat.1, 20.15 Uhr: "Gefangen im Paradies"
Sat.1 setzt zum Beginn der neuen TV-Saison ein Zeichen. Der Privatsender beendet seine Sommerpause nicht romantisch, sondern mit einem fesselnden Thriller. Schon der Titel lässt keinen Zweifel an der Ausrichtung der Geschichte: "Gefangen im Paradies" erzählt die Geschichte der Berlinerin Anna, die gemeinsam mit ihrem zwölfjährigen Sohn Max irgendwo auf einer Insel in Südostasien Urlaub macht. Doch die ersten Bilder zeigen die Frau in Panik unter Wasser; erst dann schaltet der Film in den Ferienmodus und erfreut mit Postkartenaufnahmen des pazifischen Paradieses.

Einzig die merklich düstereren Zwischenschnitte auf eine Gruppe Einheimischer, deren Verhalten nichts Gutes ahnen lässt, stören die Idylle. Prompt wird die Ferienstimmung kurz drauf jäh beendet: Die Männer entpuppen sich als Piraten, die die Gäste des Resorts als Geiseln nehmen. Anna allerdings gelingt die Flucht; als erstes steckt sie die Boote der Verbrecher in Brand, damit sie die Insel nicht verlassen können.

Im Grunde setzt der Film bereits kurz nach der Einführung zu einem langen Finale an, das Felix Herzogenrath angemessen fesselnd inszeniert hat. Das Buch (Martin Schreier, Wiebke Jaspersen) konfrontiert die Heldin mit einer Vielzahl von Herausforderungen, die die Dreharbeiten für Anna Loos zu einer äußerst anstrengenden Angelegenheit gemacht haben dürften. Auch wenn ihr Part in den gefährlichen Szenen von einer Stuntfrau übernommen wurde: Die Strapazen, die das Gesicht der Heldin zeichnen, sehen ziemlich echt aus. Außerdem wird die Frau im Verlauf ihrer Flucht mit allen möglichen Phobien konfrontiert. Eine dieser Ängste ist auch Teil der Geschichte: Seit Annas Mann bei einem Unfall ertrunken ist, hat sie ein Wassertrauma. Es kostet sie sogar Überwindung, am Strand mit den Füßen ins Wasser zu gehen, ganz zu schweigen von der Panik, die sie überkommt, als Max (Mika Seidel) sie in den Hotelpool zieht. Geschickt durchmischt Herzogenrath diese Szene mit den Bildern vom Anfang, die nach einigen weiteren kurzen Rückblenden erst viel später aufgelöst werden; dann wird auch klar, warum sich Anna die Schuld am Tod ihres Mannes (Rainer Sellien) gibt.

Immerhin ist die Witwe bei ihrer Flucht zunächst nicht allein: Philipp (Bernhard Piesk), der Tauchlehrer des Hotels, der sie auch schon aus dem Pool gefischt hat, konnte ebenfalls entkommen. Erbarmungslos schickt das Drehbuch die beiden nun durch eine Vielzahl gefahrvoller Situationen, in deren Verlauf sie beschossen werden, sich durch einen waghalsigen Sprung von einer Klippe retten und schließlich durch einen winzigen Tunnel kriechen müssen. Auf dem höchsten Punkt der Insel steht ein wackliger Wachturm mit einem uralten Funkgerät. Tatsächlich gelingt es Anna, den Turm zu erklimmen und die Küstenwache zu verständigen; aber auch die Geiselnehmer hören ihren Funkspruch.

Im Gegensatz zur vielschichtigen Hauptfigur sind die weiteren handelnden Personen weitgehend eindimensional. Damit die Piraten wenigstens ein bisschen Individualität bekommen, sieht einer aus wie ein jamaikanischer Reggae-Musiker, während ein anderer ständig mit einem Zippo-Feuerzeug spielt. Während die wenigen englischen Sätze untertitelt werden, bleiben die Gespräche der Geiselnehmer untereinander unübersetzt, was ihre Fremdartigkeit und Bedrohlichkeit naturgemäß noch verstärkt. Immerhin darf der Anführer zwischendurch erläutern, dass nicht Geldgier, sondern der schiere Hunger sie zu der Tat getrieben hat. Dass er einen Sohn im Alter von Max hat, ist natürlich kein Zufall und führt gegen Ende zu einer kuriosen Pattsituation: Ein Mann und eine Frau, beide effektvoll im Gegenlicht gefilmt, halten einem Halbwüchsigen eine Waffe an den Kopf und versuchen den anderen zu überzeugen, dass sie keinen Wert auf das Leben des eigenen Kindes legen.

Immer wieder weidet sich Kameramann Ralf Noack am Kontrast zwischen betörend schönen Urlaubsansichten und dem Grauen, das wie aus dem Nichts über die Hotelgäste hereinbricht. Ein Motiv nimmt diese Entwicklung vorweg: Gerade noch sind leuchtende Lampions in den Nachthimmel über dem Meer gestiegen, nun findet Anna am nächsten Morgen die zerfetzten Überreste am Strand. Darüber hinaus hat die Bildgestaltung großen Anteil daran, dass sich die Angst der Geiseln gut nachvollziehen lässt, weil man sich dank der Handkamera mitten unter ihnen befindet. Andere Einstellungen hat Noack aus der extremen Vertikalen gefilmt, was die ohnehin hohe Grundspannung noch mal steigert, wenn beispielsweise Jäger und Gejagte dank der Draufsicht im selben Bild zu sehen sind.

Professionell gemachter Thriller

Und so ist "Gefangen im Paradies" unterm Strich ein professionell gemachter Thriller mit einer tollen Frauenrolle, zumal die Heldin beim Versuch, über sich hinauszuwachsen, erst mal eine komplette physische und psychische Demontage erlebt; und selbstredend muss sie schließlich auch ihr Trauma überwinden, um Max zu retten. Zuvor aber gibt es ein Bild, das belegt, wie uneitel Anna Loos in ihrer Rolle aufgegangen ist: Nach den enormen körperlichen und geistigen Belastungen ist Anna derart gezeichnet, dass sie wie eine Figur aus einem Zombie-Film wirkt.

Bemerkenswert neben der Bildgestaltung und Leistung der Hauptdarstellerin sind auch die Kompositionen von Axel Huber und Philipp Noll, deren Arbeit schon den Debütfilm "Bissige Hunde" geprägt hat. Sie haben mit kleinem Orchester eine große Filmmusik eingespielt, die der Geschichte nicht nur in den vielen Thrillerszenen, sondern auch in den gefühlvollen Momenten gerecht wird.