Zum Glück zeichnet sich die Reihe "Lena Fauch" mit Veronica Ferres als Polizeiseelsorgerin dadurch aus, dass sie keine einfachen Lösungen propagiert. Die Geschichten sind zwar in Krimihandlungen gebettet, doch in erster Linie erzählen sie von Dramen, in denen Menschen stets mit grundsätzlichen (Glaubens-)Fragen konfrontiert werden. Das gilt naturgemäß vor allem für die Hauptfigur, die eine klare Haltung zum "Rettungsschuss" hat. Deshalb versteht es sich von selbst, dass sie Susi Massmann (Natalia Belitski) in Schutz nimmt: Die junge Polizistin wird Zeugin eines Supermarktüberfalls. Sie hat drei Sekunden freie Schussbahn, bevor der maskierte Täter eine Geisel nimmt; ihr Zögern kostet einen Kollegen das Leben.
Natürlich geht es im weiteren Verlauf der Handlung auch um die Suche nach dem Mörder, doch die Filme konzentrieren sich stets auf die Frage, wie Menschen auf ein Verbrechen reagieren. Lena Fauch zum Beispiel ist erschüttert, denn der Mord ereignet sich just am Todestag ihres Mannes, der ebenfalls Polizist war und drei Jahre zuvor bei einem SEK-Einsatz ums Leben gekommen ist; deshalb ist sie auch nicht in der Lage, der Witwe die Todesnachricht zu überbringen, was ihr später prompt vom unsympathischen Dienststellenleiter Riederer (Simon Licht) vorgehalten wird. Der Mann ist ohnehin mindestens ebenso sehr Antagonist wie der Mörder: Als kurz drauf ein Verdächtiger festgenommen wird, stößt Riederer den gefesselten Mann eine Treppe runter. Ganz ähnlich springt das gesamte Revier mit Susi Massmann um: Alle geben ihr die Schuld am Tod des Kollegen. Die einzige, die zu ihr steht, ist die Theologin, doch die junge Frau will ihren Beistand gar nicht, im Gegenteil: Um den vermeintlichen Fehler wieder gut zu machen, stellt sie sich sogar gegen die Pfarrerin, die nun von allen Seiten angefeindet wird. Parallel dazu erzählt Martin Weinhart (Buch und Regie), der zuletzt einige sehr gute Beiträge zur ZDF-Reihe "Unter Verdacht" gedreht hat (darunter den vorzüglichen Film "Ein Richter"), eine scheinbar ganz andere Geschichte über eine Mutter (Bettina Mittendorfer) und ihre Tochter (Anna Lena Klenke), und während die Krimihandlung zum Drama wird, wird das Drama zum Krimi.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Abgesehen vom Anfang und vom Finale, bei dem sich für die junge Polizistin der Kreis schließt, verzichtet Weinhart auf Action-Elemente; auch das gehört zum Muster der Reihe. Stattdessen geht es in vielen Gesprächen um die inneren Konflikte. Ausgerechnet diese Szenen sind nicht immer restlos überzeugend; gerade Veronica Ferres zeigt gewisse Schwächen, wenn sie sich mit ihrer Figur auf einer Meta-Ebene bewegen muss. Gleiches gilt für die seltenen emotionalen Momente. Auch bei den anderen Schauspielerinnen wechseln große Szenen mit weniger glaubwürdigen Auftritten. Das gilt leider auch für Natalia Belitski, die in "Vorsicht vor Leuten" sehr schöne Akzente gesetzt hat und hier vorzüglich verkörpert, wie sehr die junge Frau durch ihr Erlebnis zu Beginn aus der Bahn geworfen wird ist, die aber später ebenso übers Ziel hinaus schießt wie Bettina Mittendorfer, als die Mutter rausfindet, dass ihre eigene Tochter sie an der Nase rumgeführt hat.
Am stärksten ist der vierte und letzte Film der Reihe deshalb immer dann, wenn Weinhart das Selbstverständnis seiner Heldin erschüttert. In diesen Szenen ist auch Ferres richtig gut. Überzeugend vermittelt sie Lena Fauchs Fassungslosigkeit, als diese erfährt, dass ihr Mann durch die verirrte Kugel eines Kollegen getötet worden ist. Schon damals hat der Polizeichef (Markus Boysen) verhindert, dass die Wahrheit ans Licht kommt; auch diesmal sorgt er dafür, dass die Details des Todesfalls im Supermarkt nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Kein Wunder, dass die Pfarrerin schließlich den Glauben an ihre Arbeit verliert. In diesen Momenten zeigt sich das Kernthema des Films: Wer sorgt sich um die Seelen der Seelsorger?