Es war der Blick von außen, der Pfarrer Christoph Maier aus Leipzig aufgeschreckt hat. Was mag bloß ein Mensch aus Köln, Hamburg oder Magdeburg über die sächsische Landeskirche denken, wenn er die Artikel in den überregionalen Zeitungen liest? Ein Kirchenmusiker in Chemnitz darf aufgrund seiner sexuellen Orientierung nicht weiter Orgel spielen, ein schwules Pfarrerpaar verlässt Sachsen in Richtung Nordkirche und der ehemalige DDR-Pfarrer Theo Lehmann sorgt mit alten Äußerungen über "KZ-fähige Christen" für neuen Wirbel. Und dann ist da auch noch die Frage, wie sich die sächsische Landeskirche eigentlich gegenüber Rechtspopulismus und der "Pegida"-Bewegung positioniert.
"Es war ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas passieren muss", beschreibt Pfarrer Maier die Situation im vergangenen Herbst und Winter. Damals kam es zu den ersten Treffen von Menschen, die heute den Initiativkreis für das "Forum für Gemeinschaft und Theologie" bilden. "Frei und fromm" ist ihr Motto, unter dem sie schon seit Pfingsten mit einer Internetplattform auf sich aufmerksam machen.Etwa ein dreiviertel Jahr nach dem ersten Treffen des Initiativkreises lädt Pfarrer Maier zum Gespräch in die Bethlehemgemeinde in Leipzig ein. Die Fenster im Pfarramt müssen noch einmal weit geöffnet werden, Besprechungen reihen sich in diesen Tagen aneinander. Mit am Tisch sitzt auch Vikarin Jennifer Scherf, die sich ebenfalls von Beginn an im Forum engagiert – bald aber nur noch aus der Ferne. Nach dem Ende ihres Vikariats wird die 30-Jährige eine Pfarrstelle in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) übernehmen. Hoffentlich nicht zu weit weg von Leipzig, aber gewollt nicht auf dem Gebiet der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (EVLKS).
Zerreißprobe wegen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften
Sie sei überrascht gewesen, dass in Sachsen selbst jüngere Theologen über Dinge diskutierten, die in ihrer Heimat in Niedersachsen schon längst kein Thema mehr sind, sagt Scherf. Ein Beispiel sei dafür die Frauenordination. Um die sorgt sich auch Pfarrer Maier. Zwar wird sie in Sachsen nicht ernsthaft infrage gestellt, doch nachdem die Lutherische Kirche in Lettland nach Jahrzehnten wieder die Frauenordination abgeschafft hat, wünscht sich der Pfarrer ein deutliches Wort aus der Landeskirche. "Wer beim Thema Homosexualität biblisch argumentiert, könnte das bei der Frauenordination auch tun", begründet Maier seine Sorge. Ein klares Bekenntnis würde ihm da Sicherheit geben.
"Die Stimmen der Konservativen haben in der Vergangenheit die Oberhand gehabt", in der öffentlichen Wahrnehmung erscheine die Landeskirche fundamentalistisch und einseitig, sagt Maier. Dies entspricht seiner Meinung nach aber nicht der Wirklichkeit. Die Mehrheit in der sächsischen Landeskirche sei nicht von einer rigorosen Schriftauslegung überzeugt, meint der Pfarrer. Doch im "Forum für Gemeinschaft und Theologie" ticken keineswegs alle gleich. Viele würden sich wohl als "liberal" bezeichnen, aber gewiss nicht alle. Konsens findet sich im Unbehagen über den Status quo.
Pfarrer Maier sieht im Forum sieht - nicht nur, aber auch - einen Gegenpol zur Sächsischen Bekenntnis-Initiative. Diese hatte sich 2012 in Reaktion auf die Zulassung homosexueller Partnerschaften in sächsischen Pfarrhäusern formiert. Gemeinsam dort leben dürfen gleichgeschlechtlich liebende Pfarrerinnen und Pfarrer allerdings nur, wenn der örtliche Kirchenvorstand sein Einverständnis gibt – und zwar einstimmig. Die Debatte über den Umgang mit Homosexuellen hatte die sächsische Kirche jahrelang vor eine Zerreißprobe gestellt.
Das Forum fordert mehr Rechte für Homosexuelle, konkret die Möglichkeit einer kirchlichen Trauung. "Ich bin mir ziemlich sicher, die Mehrheit der Basis würde das auch akzeptieren", sagt Maier und wirbt dafür, die Trauagende der sächsischen Landeskirche entsprechend zu überarbeiten. Der als konservativ geltende Landesbischof Carsten Rentzing hat solchen Initiativen allerdings erst kürzlich wieder eine Absage erteilt. "Trauungen wird es nicht geben", bekräftigte er. Allerdings sprach Rentzing sich dafür aus, über Formen der Segnung für homosexuelle Paare zu sprechen.
Um über weitere Wünsche und konkrete Forderungen beraten zu können, hat das "Forum für Gemeinschaft und Theologie" an einem Samstag (27. August) zu einer Tagung nach Leipzig geladen. Weit mehr als 200 Pfarrer und andere Angehörige evangelischer Kirchgemeinden kamen trotz besten Sommerwetters, um mitzudiskutieren. In vielen Gesprächen standen aber weniger die großen Umbrüche im Mittelpunkt, als vielmehr der Alltag in den Gemeinden und das Gefühl der Ausgrenzung.
Fremdenfeindlich oder weltoffen: Kirchgemeinden mittendrin
"Mir begegnen in den Kirchgemeinden viele Menschen, die sich mittlerweile in unserer Landeskirche fremd fühlen, die sich nicht vertreten und nicht ernst genommen fühlen", fasst Prädikant und Kirchenvorsteher Heiko Reinhold aus Stollberg im Erzgebirge gleich zu Beginn zusammen. Für Fragen, Zweifel, eine andere Art zu glauben und zu leben fänden viele Menschen "keinen Platz" mehr. Pfarrer hätten Angst, ihre ehrliche Meinung zu vertreten, Ehrenamtliche mit neuen Ideen würden abgewiesen. "All diese Menschen leiden an ihrer, an unserer Kirche", sagt Reinhold. Das Forum solle all diesen Menschen die Möglichkeit geben, ihre eigenen Vorstellungen, ihr Glaubensüberzeugungen, ihr persönliches Bekenntnis und auch ihre Zweifel einzubringen, ohne dafür verurteilt zu werden.
Pfarrer Maier meint, die Landeskirche sei für viele einfach auch zu weit weg von ihrem persönlichen Verständnis des Christentums: "Das kann auch politische Dimensionen haben, zum Beispiel, wenn es um die Positionierung gegen rechte Strömungen geht." Die Gesellschaft in Sachsen ist tief gespalten in der Debatte über Fremdenfeindlichkeit und Weltoffenheit, die Kirchgemeinden oft mittendrin.
Was das alles im Alltag bedeutet, brachten die 200 Teilnehmer der Tagung auf den Tisch. Dabei wurde aber schnell klar, dass aus dem Gefühl der Unzufriedenheit und der Ausgrenzung nicht automatisch eine Strategie für Veränderungen erwächst. Selbst diejenigen, die konkret von Diskriminierung betroffen sind, finden nicht immer deutliche Worte. In einem Workshop berichtet eine Frau, die sich nach ihrer Scheidung zur Homosexualität bekannte, von Ausgrenzung in der Kirchgemeinde. Ihr hätte es schon gereicht, wenn in dieser schweren Situation nicht auch noch von Seiten der Gemeinde auf sie "eingetreten" worden wäre, sagt die 47-Jährige. Am Ende des Workshops steht eine Forderung, aber sie richtet sich an keinen konkreten Ansprechpartner. Das Bekenntnis "Sie gehören zu uns" sollte selbstverständlich gelebt werden. Alles Weitere müsse aus diesem Fundament erwachsen.