Vielleicht liegt das auch daran, dass sein Stoff aus einem Umfeld stammt, in dem er sich gut auskennt: Vor seinem Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg war er Priesteramtskandidat und festen Willens, sein Leben in den Dienst der katholischen Kirche zu stellen. Das hatte nicht nur eine gewisse Bibelfestigkeit zur Folge, es bescherte ihm auch tiefe Einblicke in das Wesen des Klerus’. Kein Wunder, dass die Figuren so authentisch wirken. Entscheidender aber ist ihre charakterliche Glaubwürdigkeit, zumal sich der Film mit einem heißen Eisen befasst: "Verfehlung" behandelt den Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schneider erzählt seine Geschichte als Porträt der drei Freunde Jakob, Dominik und Oliver, die einst angetreten sind, um die Kirche von innen heraus zu verändern und zu modernisieren. Zentrale Figur ist Jakob (Sebastian Blomberg), ein Gefängnisseelsorger, der eines Tages fassungslos erlebt, wie Gemeindepriester Dominik (Kai Schumann) praktisch am Altar verhaftet wird, weil er einen Jugendlichen missbraucht haben soll. Während Jakob von der Unschuld des Freundes überzeugt ist, spielt der Dritte im Bunde die Sache als "Fehltritt" runter: Oliver (Jan Messutat) arbeitet mittlerweile für die Bistumsverwaltung und will vor allem einen Skandal vermeiden; er macht der alleinerziehenden Mutter (Sandra Borgmann) des Jungen ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann. Doch dann erfährt Jakob zufällig, dass es einen weiteren "Fehltritt" gegeben hat; und dass die Kirche schon vor Jahren von Dominiks Veranlagung wusste.
In der optischen Umsetzung ist "Verfehlung" nicht weiter ungewöhnlich, aber darstellerisch ist der Film hervorragend. Die drei Freunde sind perfekt besetzt, zumal Schneider den Fehler vermieden hat, den pädophilen Priester als Antagonisten zu gestalten: Kai Schumann versieht den jugendlich gebliebenen Mann, dem man sein Engagement für Jugendliche vorbehaltlos abnimmt, mit Sympathie und Charisma. Auch Oliver ist dank Messutats differenziertem Spiel nicht einfach ein skrupelloser Karrierist; er hat das große Ganze im Blick und will Schaden von seiner Kirche abwenden. Zwischen diesen beiden steht Jakob, dessen innerliche Zerrissenheit Blomberg ganz großartig verkörpert: weil sich der Priester nicht nur der Freundschaft und der Kirche verpflichtet fühlt, sondern vor allem seinem Gewissen.