Aber natürlich wird dieser Teil der Geschichte alsbald zur Nebenhandlung, schließlich ist auch "Ein Geheimnis im Dorf - Schwester und Bruder" ein Drama. Schon im ersten Film sorgte ein lange zurückliegendes düsteres Ereignis für ein gewisses Schaudern: Der jähzornige Bauer Anton (August Schmölzer, von dem auch die Idee stammte) hat vor zwanzig Jahren im Affekt seine Frau erschlagen und im Stall verscharrt; seinen Söhnen hat er stets erzählt, sie habe die Familie sitzengelassen. Der neue Film beginnt mit seiner Entlassung aus dem Gefängnis.
Die zweite Auftaktebene zeigt eine junge Frau, die panisch in die Sümpfe flieht. Erst später verrät das Drehbuch (wieder von Konstanze Breitebner), dass diese Bilder eine Rückblende sind: Vor 18 Jahren ist Irene bei einem Sommerfest vergewaltigt worden. Die Erinnerungen überwältigen sie, als ausgerechnet dieser Paul Berger (Michael Menzel), mittlerweile ein renommierter Koch, den leerstehenden Gasthof übernehmen möchte. Kein Wunder, dass Irene dies mit allen Mitteln verhindern will, allerdings sehr zum Unmut ihres deutlich jüngeren Bruders Georg (David Christopher Roth), denn der ist bei Berger in die Lehre gegangen und könnte nun für ihn arbeiten. Georg ist beileibe nicht der einzige, den sich Irene zum Feind macht: Täglich donnern Laster auf dem Weg zum nahe gelegenen Steinbruch durchs Dorf. Die Einwohner wollen unbedingt eine Umgehungsstraße, und Anton wittert das große Geld, denn die Straße würde durch seine Wiesen führen; eine rechtzeitige Umwidmung des Geländes zu Bauland würde ihn zum reichen Mann machen. Irene weigert sich jedoch, die unberührte Natur zu verschandeln, was sie bei den anstehenden Neuwahlen den Posten kosten könnte.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Vermischung dieser beiden Erzählebenen ist so gut gelungen, dass Irene nie bloß Bürgermeisterin oder bloß Privatfrau ist; und selbstredend taucht ihr Bruder nicht von ungefähr im Titelzusatz auf, obwohl er nur eine Nebenfigur ist. Während man früh ahnt, was es mit der Beziehung der beiden Geschwister auf sich hat, ist die ganze Wahrheit doch verblüffend und schockierend. Wie schon in "Die Fremde und das Dorf" sind Regisseur Peter Keglevic und seinem Kameramann Emre Erkmen zudem faszinierende Aufnahmen gelungen; einige Bilder sind schön wie Gemälde. Erneut zeigen sie die Steiermark nicht als Urlaubsgebiet, sondern nutzen die Landschaft, um dem Film eine ganz eigene Stimmung zu geben. Die Bilder sind meist düster; tief hängende Wolkenfetzen und viele Innenaufnahmen im Halbdunkel sorgen für eine alles andere als heimelige Atmosphäre, was natürlich gut zur Geschichte passt. Die musikalische Untermalung, oft bloß durch eine akustische Gitarre, ist dafür umso schöner. Auch die Schauspieler machen ihre Sache ausnahmslos gut: Max von Thun als Antons Sohn, der Irene liebt, sich aber sorgt, er könne den Jähzorn des Vaters geerbt haben; Franziska Walser als pensionierte Lehrerin, die im Hintergrund die Fäden zieht und auch nicht vor miesen Methoden zurückschreckt, um ihr Glück zu erzwingen; Sissy Höfferer als Irenes Mutter Amalie, der es am liebsten wäre, wenn die Vergangenheit begraben bliebe; und Harald Schrott als Amalies zweiter Mann, der das aus ganz anderen Gründen ganz ähnlich sieht. Trotz der Tragik, die die Geschichte durchzieht, fehlt der Inszenierung jedoch ein wenig die innere Spannung, zumal es eine Weile dauert, bis der Film zu Sache kommt; und wer den ersten Teil nicht gesehen hat, muss sich viel zu lange fragen, wer mit wem in welcher verwandtschaftlichen Beziehung steht.