Rechtsprofessor: "Betreuungsrecht muss dringend reformiert werden"
Für Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gibt es Betrug im Betreuungswesen nur in Einzelfällen. Jetzt ist eine Dokumentation mit Presseberichten über Gerichtsurteile erschienen, die das Gegenteil beweisen will.

München (epd). Nach Ansicht der Kester-Haeusler-Stiftung in München muss das deutsche Betreuungsrecht dringend reformiert werden. Es gebe viele strukturelle Mängel, die Betrug im Zuge einer Betreuung leicht machten, sagte der Stiftungsvorsitzende, Professor Volker Thieler, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dass Unterschlagungen und Erbschleicherei keine seltenen Einzelfälle seien, belege die von der Stiftung veröffentlichte Dokumentation "Betreuer vor dem Strafgericht" mit zahlreichen Zeitungsberichten über Gerichtsentscheidungen.

Keine Kontrolle der Betreuer

Thieler kritisierte die Haltung von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der nach eigener Aussage keine Notwendigkeit sieht, Reformen im Betreuungsrecht anzustoßen. "Unsere Dokumentation ist darauf eine Antwort. Der Untätigkeit des Justizministers, allerdings auch der vorherigen Justizministerin, kann man nur wenig entgegenhalten", beklagte der Anwalt: "Wir weisen seit Jahren auf diese Missstände hin. Eine Verbesserung ist nicht eingetreten."

Für die Ausübung einer Betreuung werde hierzulande nicht mehr gebraucht als ein polizeiliches Führungszeugnis. "Eine Kontrolle der Betreuer, noch weniger eine Qualitätskontrolle, gibt es bis heute nicht", rügte der Experte. Betreuer entschieden beispielsweise ohne Fachkenntnis über medizinische Operationen: "Ich hatte gerade einen Fall, bei dem eine Anwältin bei einem Betreuungsfall, der 100 Kilometer entfernt ist, die Entscheidung über eine Operation am Telefon fällte."

Thieler zufolge kommt es nicht selten zu Unregelmäßigkeiten bei der Vermögensverwaltung Betreuter, weil deren Angehörige keinerlei Mitspracherecht bei der Betreuung haben. "In welcher Form, mit welchem Zeitaufwand und wie Betreuer arbeiten, ist hierzulande überhaupt nicht transparent."

Noch schlimmer sei der Einbruch in das Familienleben zu bewerten. Bei Ehegatten, die jahrelang harmonisch miteinander lebten und bei denen es nie Probleme mit den Konten gab, dürften Ehegatten auf einmal über das Konto des betreuten Partners nicht mehr verfügen: "Sie haben kein Recht, am Betreuungsverfahren teilzunehmen. Sie erhalten oftmals nicht einmal die Mitteilung, dass ein Betreuungsverfahren eingeleitet wurde."

Kein Vorkaufsrecht der Verwandten

Er kenne viele Fälle, bei denen Betreuer, aus welchen Gründen auch immer, Immobilien schnell verkauften. "Die Angehörigen und Ehegatten haben kein Vorkaufsrecht." Auch aufgrund der mangelnden Transparenz "komme es zu Betrug und Unterschlagungen, wie unsere Dokumentation zeigt".

Thieler bezeichnete die bisherigen Gesetzesänderungen im Betreuungswesen als unzureichend. Sie hätten nur dazu geführt, dass Aufgaben der Richter, die völlig überlastet sind, Rechtspflegern übertragen werden. "Wie es möglich ist, dass man bei Dreiteilung der Gewalten, Angestellte im öffentlichen Dienst Richteraufgaben überträgt, ist auch ein Problem, das bisher nicht gesehen worden ist."