Dicht an dicht stehen in Nea Kavala, rund 20 Kilometer von Idomeni entfernt, die Zelte für Flüchtlinge nahe der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien.
Foto: dpa/Kay Nietfeld
Flüchtlingscamp Nea Kavala nahe der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien.
"Folitsa" heißt auf Deutsch "Nestchen"
Suppenküche, Sprachunterricht, Flüge organisieren, sogar ein Mutter-Kind-Programm: Die deutschen evangelischen Auslandsgemeinden in Griechenland, Italien und der Türkei sind zurzeit sehr damit beschäftigt, geflüchteten Menschen weiterzuhelfen. In Thessaloniki hat die Gemeinde eine Wohnung angemietet und renoviert, in der Mütter mit ihren Kindern wohnen können. "Folitsa" heißt das Projekt.
17.08.2016
Dirk Stelter, Referent für Mittel-, Ost- und Südosteuropa im Kirchenamt der EKD

"Ich weiß es noch wie heute, wie am Montag, 20. April im letzten Jahr, nachts um elf die 27 entkräfteten Flüchtlinge im Hafen von Catania ankamen", erinnert sich Andreas Latz, Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde auf Sizilien. "Nur 27. Die anderen 800 waren beim Kentern des Bootes vor der libyschen Küste ertrunken. Gemeinsam standen wir, Leute aus verschiedenen Kirchengemeinden, am Hafen. Flüchtlingen geholfen hatten wir schon früher. Nun war klar: Hier mussten wir noch mehr tun."

Vom Elend der Flüchtlinge buchstäblich vor der eigenen Kirchentür berichten auch andere Pfarrerinnen und Pfarrer deutschsprachiger evangelischer Auslandsgemeinden bei der Auslandspfarrkonferenz in Bad Boll. Seit der Auflösung des großen Flüchtlingslagers in Idomeni, so Ulrike Weber, Pfarrerin im griechischen Thessaloniki, lebten gut 8.000 Flüchtlinge in Camps in der Umgebung der Stadt. Ursula August, Pfarrerin der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei, schätzt die Anzahl der Flüchtlinge in Istanbul, wo die Gemeinde ihre Kirche hat, auf rund 300.000. Zwei Drittel von ihnen kommen aus Syrien.

Ehrenamtliche sind ökumenisches Team

Solchen Flüchtlingen bietet Augusts Gemeinde im Rahmen eines Netzwerks, in dem weitere sieben Kirchen verschiedener Konfessionen mitwirken, Unterstützung – von zwei Suppenküchen, einer Kleiderkammer und Unterkunftshilfe über die Finanzierung medizinischer Versorgung und Begleitung bei Behördengängen bis hin zu einem Mutter-Kind-Programm. "In diesem Netzwerk verwaltet jede Kirche einen Arbeitsbereich", erläutert die Pfarrerin. "Die Ehrenamtlichen sind in verschiedenen Bereichen aktiv, als ökumenische Teams. Aus unserer Gemeinde machen rund 25 mit – zum Beispiel Juristinnen und Krankenschwestern."

Die deutsche Gemeinde organisiert Unterkunft für rund 35 Familien, verteilt Lebensmittelkarten und hilft Menschen wie der zuckerkranken jungen pakistanischen Mutter mit ihren zwei Kindern, die wegen religiöser Verfolgung aus ihrer Heimat durch den Iran in die Türkei geflüchtet war. In der monatelangen Wartezeit, bis sie vom UNHCR als internationaler Flüchtling anerkannt wurde, hat die Gemeinde für das notwendige Insulin gesorgt.

Ein weiterer Schwerpunkt ist Hilfe bei der Flüchtlingszusammenführung. "Häufig ist es so", erzählt August, "dass ich einen Anruf aus Deutschland erhalte – beispielsweise von einer Pfarrerin, deren Gemeinde einem Syrer hilft, der in Deutschland als Flüchtling anerkannt ist. Seine Frau und seine Kinder sind noch im Lager Gaziantep an der syrischen Grenze. Ich erhalte den Anruf, wenn alle Papiere da sind, sodass die Familie nachziehen kann. Das ist erst einige Monate nach Ankunft der Familie im Lager der Fall. Wenn nun alle Papiere vorliegen, melden wir uns bei der Mutter per Handy, nehmen die Familie am Busbahnhof in Empfang, sorgen für ein Frühstück und helfen beim Abholen der Visa im deutschen Konsulat und beim Organisieren des Fluges. Meist dauert das länger als einen Tag. Dann kümmern wir uns auch um die Übernachtung."

Ulrike Weber, Andreas Latz und Ursula August (v.l.) berichteten auf der Auslandspfarrkonferenz von ihren Erfahrungen.

Die Gemeinde in Thessaloniki richtet ihr Augenmerk auf Mütter, die allein mit ihren Kindern unterwegs sind. "Man geht momentan davon aus", so Pfarrerin Weber, "dass die Flüchtlinge in den Camps um unsere Stadt rund zwei Jahre in Griechenland bleiben werden, bis sich der weitere Aufenthalt geklärt hat – entweder zur Weiterreise, zur Rückreise oder zum Bleiben." Besonders schutzbedürftig seien alleinreisende Mütter mit Kindern. "Für sie ist das Leben in den Zeltunterkünften oft unerträglich." Daher hat die Gemeinde eine Wohnung angemietet und renoviert, in der Mütter mit ihren Kindern wohnen können. Das gibt ihnen Gelegenheit, ihre weitere Perspektive in Ruhe zu planen. "Folitsa" heißt das Projekt, auf Deutsch: "Nestchen". Die Gemeinde gibt den Frauen ein Taschengeld, sodass sie sich und ihre Kinder selbständig versorgen können, und hilft auch bei ärztlicher Betreuung. Eine zweite Wohnung soll demnächst dazukommen.

Darüber hinaus organisiert die Gemeinde einmal in der Woche einen warmen Mittagstisch, bei dem Flüchtlinge, Mitglieder der deutschen Gemeinde und Griechen zusammenkommen. Außerdem gehen Frauen einer Gemeindegruppe in der Hafenstadt Kavala einmal pro Woche in das nahe Camp, bringen Bälle, Stifte und Papier mit und spielen dort mit Kindern.

Dreimal pro Woche Italienisch-Unterricht

In Catania auf Sizilien kommen die meisten Flüchtlinge aus Westafrika. "Schon vor einigen Jahren haben wir zusammen mit der baptistischen und der valdensischen Gemeinde eine Sprachschule gegründet", berichtet Pfarrer Latz. "Dreimal pro Woche je zwei Stunden bieten wir Italienisch-Unterricht an. In unser Gemeindehaus laden wir mindestens jeden zweiten Sonnabend Flüchtlinge zum Frühstück ein. Anschließend können sie sich gespendete Kleidung und Hygieneartikel aussuchen und mitnehmen." Hauptprojekt seit dem April 2015 ist ein Flüchtlingswohnheim, das derzeit neben dem Gemeindehaus gebaut wird. Mitte September soll es eröffnet werden, zusammen mit einem Beratungsprogramm. Finanziert wird das Projekt von der Gemeinde, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien, deutschen Landeskirchen und der EKD.

"Die deutschsprachigen evangelischen Auslandsgemeinden sind Seismographen für internationale Trends", resümiert Bischöfin Petra Bosse-Huber die Auslandspfarrkonferenz, zu der rund 90 Pfarrerinnen und Pfarrer aus allen fünf Kontinenten vom 8. bis zum 14. August in Bad Boll zusammengekommen waren. "Und so sind auch die aktuellen Flüchtlingsbewegungen in vielen Gemeinden spürbar. Gleichzeitig sind die Auslandgemeinden kompetente Akteure vor Ort. Besonders in der diakonischen und seelsorglichen Arbeit geben sie ein beeindruckendes Zeugnis ab. In einer anonymer werdenden Welt geben sie Deutschen im Ausland eine geistliche Heimat. Gleichzeitig schotten sie sich nicht in Deutschtümelei ab, sondern vernetzen sich mit den Kirchen und Menschen vor Ort."