Baumkapelle von Allouville-Bellefosse neben der Kirche
Foto: Wolfgang Radtke
Die Eiche mit der Baumkapelle von Allouville-Bellefosse in der Normandie steht neben der Dorfkirche.
Beten im Baum
Das Dorf La Haye-de-Routot in der Normandie ist berühmt für zwei uralte Eiben, in deren riesigen hohlen Stämmen kleine Kapellen untergebracht sind. Die tausendjährige Stieleiche im westfranzösischen Allouville beherbergt in ihrem mächtigen Inneren sogar zwei Kapellen übereinander. Längst sind die Baumkirchen zu beliebten Pilgerstätten geworden.
15.08.2016
Ruth Bourgeois

Immer nur zwei, höchstens drei Besucher können in die kleine Kapelle schlüpfen. Sie befindet sich in einer natürlich entstandenen Höhlung im Stamm einer Eibe. Der uralte Baum und ein gleichaltriger Artgenossen stehen auf dem Friedhof neben der steinernen Kirche im Dörfchen La Haye-de-Routot in der Normandie. Und das schon sehr lange: Anhand ihres Umfangs von vierzehn und sechzehn Meter schätzt man das Alter der beiden Eiben auf etwa 1500 Jahre.

Schon früh galten Eiben als heilige Bäume, und viele Menschen maßen ihnen eine spirituelle Bedeutung bei. Da der immergrüne Baum ein Symbol der Unsterblichkeit war, wie die Zypresse in südlicheren Gefilden, pflanzte man in unseren Breitengraden häufig Eiben auf Friedhöfe. Ein weiterer Grund dafür lag darin, dass Holz, Rinde und Laub der Eibe giftig für Weidevieh ist – so wurden Dorfbewohner im Mittelalter davon abgehalten, ihre Tiere auf Friedhöfen weiden zu lassen.

"Les Amis des Ifs" retteten die Eiben

Besucher stehen vor der schmalen, niedrigen Holztür an, über der ein Holzkreuz angebracht ist, und warten darauf, dass sie eintreten können. Der mit einfachen Holzplanken gedeckte Raum ist niedrig. Alles hier drinnen ist aus dem nachwachsenden Rohstoff - ausgenommen das gehäkelte Altartuch, auf dem eine Statue der Heiligen Anna steht. Die Kapelle ist der Mutter Marias gewidmet, die Heilige Anna aus Holz beugt sich zu der kleineren Maria hinunter. Dabei hält Anna die aufgeschlagene Bibel in den Händen, und gemeinsam schauen die beiden Frauen hinein.

Wer das Innere dieser Eibe gesehen hat, besucht in aller Regel auch ihre Nachbarin, um an deren Marienaltar zu beten. Im Stamm der zweiten Eibe ist es zu eng, als dass man die Höhlung betreten könnte. Dafür steht in dem Stamm ein Altar mit einer Figur der Heiligen Jungfrau Maria, die flehentlich gen Himmel schaut. Der Weiße Altar ist reich mit Blumen geschmückt. Von der Decke hängt ein ewiges Licht.

Als Ende 2013 eine der beiden Eiben schwer erkrankte, setzte sich das ganze Dorf für ihre Rettung ein. Es bildete sich sogar eine kleine Bürgerinitiative namens "Les Amis des Ifs" ("Die Freunde der Eiben").

Hohl ist auch der Hauptstamm der Stieleiche in Allouville-Bellefosse im westfranzösischen Département Seine-Maritime. Bizarr ragen ihre zum Teil abgestorbenen Äste gen Himmel. Auf dem obersten Punkt steht ein kleines Metallkreuz. Löcher und Risse im Stamm wurden mit Holzschindeln abgedeckt, damit die Gläubigen nicht im Regen stehen. Eine hölzerne Außentreppe führt in den zweiten Stock. Hier gibt es eine Tür, die Einlass in die obere Kapelle gewährt. Wer den Blick hebt und den hohlen Stamm hinaufschaut, sieht ein hölzernes Kruzifix an der Wand hängen. Eisenstreben stützen den hohlen Baum von innen und einige noch grüne Äste von außen ab.

In diesem Stamm sollst du meine Kirche bauen

1696 hatte der Priester des Dorfes die Idee, zwei kleine Kapellen übereinander im Stamm der alten Eiche unterzubringen. Um seinen Plan zu untermauern und die Größe der zukünftigen Kapelle richtig einzuschätzen, bediente er sich einer ausgefallenen "Messmethode": Mit einer Gruppe Schulkindern stattete er dem Baumriesen einen Besuch ab und bat die Kinder, in den hohlen Stamm zu klettern: 40 von ihnen fanden darin Platz.

Zuerst entstand in einer höher gelegenen Kammer eine Einsiedelei, in der ein Bett, ein Stuhl und ein Tisch untergebracht wurden. Ebenerdig wurde die kleine Kapelle Notre-Dame de la Paix eingerichtet. Die Einsiedelei im "ersten Stock" war Mitte des 19. Jahrhunderts unbewohnbar geworden. Eine Renovierung verhalf der Chêne Millénaire d’Allouville zu ihrem heutigen Aussehen. Sowohl der untere als auch der obere Bauminnenraum wurden mit schmucken Paneelen verkleidet und im damals modernen neugotischen Stil ausgeschmückt. Am 3. Oktober 1854 kam die alte Eiche zu neuen Würden: Sie wurde offiziell zur Kapelle erklärt und vom Bischof geweiht.

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Das genaue Alter des betagten Baumes ist nicht bekannt. Er steht mindestens 800, vielleicht sogar 1200 Jahre fest verwurzelt neben der Dorfkirche. Stolze fünfzehn Meter Umfang hat der Baum im Laufe seines langen Lebens gewonnen, rund 18 Meter ist er hoch. Der Eingang zur unteren Kapelle ist eng. So eng sogar, dass sich selbst schlanke Gläubige durch den Riss hindurchzwängen müssen. Nichtsdestoweniger ist der Holzaltar immer mit Blumen geschmückt. Die Madonna lächelt im Halbdunkel des Stammes milde auf die Gläubigen hinab. Rund tausend Jahre Geschichte sind an der Eiche in Allouville vorübergezogen. Seit 1932 ist die alte Eiche offiziell ein historisches Naturdenkmal.

Längst ist die Chêne Millénaire Dorfzentrum und zieht jedes Jahr rund 30.000 bis 40.000 Besucher aus aller Welt an. Die höchsten Besucherzahlen werden anlässlich der Ehrung der Jungfrau Maria am Himmelfahrtstag, dem 15. August, verzeichnet. Denn die uralte Eiche ist mehr als nur ein Baum – sie ist auch eine begehbare Pilgerstätte, in der man dem Himmel ganz nah ist.