Sie setzen sich dafür ein, dass die Barmer Theologische Erklärung in die Verfassung der bayerischen Landeskirche aufgenommen wird. In diesen Prozess sind auch die Gemeinden eingebunden. Wie ist der Stand?
Es gab aber bereits auch kritische Anmerkungen, etwa von den Fakultäten.
Heinrich Bedford-Strohm: In der Tat setzen sich die Stellungnahmen der Theologischen Fakultät München und der Augustana-Hochschule durchaus kritisch mit der Barmer Theologischen Erklärung und ihrer möglichen Aufnahme in unsere Kirchenverfassung auseinander. Ein Kritikpunkt ist insbesondere, dass ein Dokument, das in einem anderen historischen Kontext wirksam geworden ist, heute in unserer aktuellen Situation als so relevant betrachtet wird. Es geht also um Fragen der Rezeptionsgeschichte und der Auslegung. Für mich ist das ein guter Anlass, um mit den Kritikern ins Gespräch zu kommen und ich bin schon sehr gespannt auf diesen Austausch.
Hat sich Ihre Position durch diese Eingaben geändert?
Bedford-Strohm: Die bisherigen Gegenargumente haben mich nicht umstimmen können. Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass die Barmer Theologische Erklärung ein gewichtiges und kraftvolles theologisches Dokument ist, das uns gerade heute viel zu sagen hat. Deshalb steht sie auch jetzt schon als ganz zentraler Text in unserem Gesangbuch. In Ergänzung zu den großen lutherischen Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts legt sie genau dieses Bekenntnis authentisch für die heutige Zeit aus und unterstreicht - was mir ganz besonders wichtig ist - das Christusbekenntnis. Wie die Erklärung deutlich macht, gibt es keinen Bereich, sei es die Wirtschaft oder die Politik, bei dem wir unseren Glauben an der Garderobe abgeben können. Sondern Christus hat Anspruch für unser gesamtes Leben mit all seinen Facetten und Ausprägungen.
Ein kritischer Einwand zielt aber doch gerade darauf, dass die Barmer Theologische Erklärung zu fundamentalistisch und zu christologisch sei.
Bedford-Strohm: Mit dieser Frage ist die Befürchtung verknüpft, ein starkes Christuszeugnis könne einem offenen interreligiösen Dialog entgegenstehen. Diese Befürchtung teile ich überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil: Wer mit einer klaren Christus-Orientierung in interreligiöse Gespräche geht, behandelt andere Menschen und ihre jeweiligen religiösen Traditionen mit Respekt. Außerdem ist die Grundlage für diese Gespräche nicht religiöse Beliebigkeit, sondern eine klare eigene Position. Deshalb ist das eindeutige Christusbekenntnis der Barmer Theologischen Erklärung dafür sehr hilfreich.
"Entscheidend ist, dass wir vom Evangelium her argumentieren"
Korrespondiert die Aufnahme der Erklärung in die Kirchenverfassung dann nicht genau mit dem Reformationsjubiläum, das ja als großes Christusfest begangen werden soll?
Bedford-Strohm: Da gibt es keine direkte Verknüpfung. Denn die Aufnahme eines theologischen Textes in die Kirchenverfassung ist natürlich etwas viel Grundlegenderes als eine Jubiläumsfeier. Allerdings passt die Beschäftigung mit der Barmer Theologischen Erklärung ausgesprochen gut zum Jubiläumsjahr 2017, weil wir die Christus-Zentrierung dick unterstreichen wollen.
Preidel: Das ist wirklich eine zufällige und glückliche Fügung. Unsere Grundidee und Intention war: Die Barmer Theologische Erklärung soll den für unsere Kirche unbedingt nötigen Struktur- und Zukunftsprozess theologisch untermauern. Dass die synodalen Beschlüsse zur Aufnahme der BTE in die Verfassung nun gerade 2017 auf der Tagesordnung stehen, verleiht dem Jubiläumsjahr in unserer Landeskirche einen besonderen Akzent.
Welche Bedeutung hat die Erklärung für diesen Strukturprozess, aber auch für jeden einzelnen Menschen?
Preidel: Die Erklärung hilft den Menschen, sich neu zu verorten. Dadurch können sie Vereinnahmungen widerstehen, die im alltäglichen Leben permanent auf sie einwirken, etwa durch die zunehmende Digitalisierung und Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Für den anstehenden Strukturprozess sind natürlich auch Fragen wie die Kirchenaustritte, die finanziellen Rahmenbedingungen oder die Pensionierungswelle der Pfarrerinnen und Pfarrer wichtig. Entscheidend ist jedoch, dass wir bei der Erneuerung der Kirche vom Evangelium her argumentieren. Kirche muss unterscheidbar sein und bleiben. Wir sind keine Firmenorganisation und müssen deshalb auch auf eine andere Weise und auf einer anderen Grundlage umbauen. Wir wollen ja einen kreativen Prozess, der theologisch fundiert ist, wozu als Leitfaden ganz wesentlich die Erklärung beitragen kann. Das kann auch die Angst nehmen, es komme zu einer willkürlichen Streichliste. Und es kann in Dilemma-Situationen, die ganz sicherlich auch auf uns zukommen werden, helfen, Lösungen zu finden.
"Ich erhoffe mir eine geistliche Erneuerung für unsere Kirche"
Bedford-Strohm: Diesen Punkt will ich auch aus meiner Sicht ganz dick unterstreichen. Denn die Erklärung zeigt doch, wie Kirche sichtbar machen kann, dass sie eine geistliche Gemeinschaft ist. In der 4. These wird beispielsweise genau beschrieben, dass die verschiedenen Ämter nicht eine Hierarchie begründen, sondern Ausdruck unseres gemeinsamen Dienstes sind. Die Erklärung verhilft uns also zu einem kritischen Blick darauf, wie die unterschiedlichen Funktionen in unserer Kirche nicht Herrschaft der einen über die anderen, sondern Aufgabenzuweisungen auf der Grundlage eines gemeinsamen geschwisterlichen Geistes sein können. In der Kirche geht es doch gerade nicht um eine institutionelle Selbstbehauptung. Die Verwaltung und die Organisationsformen in der Kirche müssen immer und eindeutig dem Ziel der Verkündigung des Evangeliums in die Welt zugeordnet sein. Diese theologische Fundierung muss viel mehr als bisher in die kirchliche DNA eingehen.
Gibt es also in der Kirche zu viel Apparat und zu wenig theologischen Inhalt?
Bedford-Strohm: Das wäre eine zu negative Diagnose. Denn wir brauchen auch institutionelle Prozesse und tüchtige Menschen für Verwaltungsaufgaben. Und ich erlebe immer wieder, dass auch diese Verwaltungsfachleute sich in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern der Aufgabe verpflichtet wissen, so gut wie nur irgend möglich die Verkündigung und das Evangelium zu befördern. Die Barmer Theologische Erklärung macht diese Zielsetzung, dass unsere Kirche immer auf Christus als ihre Mitte zugeordnet sein muss, nochmals neu und mit Nachdruck deutlich.
Sie erhoffen sich also, dass durch die Barmer Theologische Erklärung ein Ruck durch die Kirche geht?
Preidel: Ein Ruck wird durch die Kirche gehen, allein schon, weil wir auf die sich verändernden Rahmenbedingungen klug reagieren müssen. Deshalb hat die Synode den Strukturprozess "Profil und Konzentration" initiiert. Dahinter steht kein Streichkonzert und Abbau, sondern wir wollen die Kirche auf allen Ebenen, von den Gemeinden bis zur Verwaltung, zukunftsfähig machen. Für diesen Prozess kann die Barmer Theologische Erklärung ganz wichtige inhaltliche Kriterien liefern. Deshalb sollte sie nach meiner festen Überzeugung als innerer Kompass für kirchliches Handeln wie auch für jeden einzelnen Menschen in die Verfassung der Landeskirche aufgenommen werden.
Bedford-Strohm: Ich erhoffe mir, auch durch die Barmer Theologische Erklärung, nicht nur einen Ruck, sondern eine geistliche Erneuerung für unsere Kirche. Wir müssen den Menschen wieder neu zeigen, welche ungeheure Kraft und Perspektive der christliche Glaube für ihr Leben in allen seinen Ausformungen hat. Das ist unsere Aufgabe, auf die alles und jedes in der Kirche auf die wunderbare Botschaft des Evangeliums bezogen sein muss.