Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Im Spinnwebhaus" (ARD)
9.8., ARD, 22.45 Uhr: "Im Spinnwebhaus"
Auch die bemerkenswerten Bilder können nicht kaschieren, dass "Im Spinnwebhaus" deutliche dramaturgische Schwächen hat. Eine Struktur ist nicht zu erkennen, das Drehbuch reiht Episode an Episode, weshalb es keine Spannungssteigerung gibt; dazu passt dann auch der kraftlose und entsprechend unbefriedigende Schluss.

 Die Handlung dieses Langfilmdebüts von Mara Eibl-Eibesfeldt erinnert an Niki Steins Drama "Der große Tom" (2008), was nicht überrascht, denn die Drehbücher basieren vermutlich auf den gleichen Zeitungsberichten: Beide Filme handeln von einem Jungen, der sich unbemerkt von der Umwelt viele Monate lang um seine kleineren Geschwister gekümmert hat, nachdem die Mutter von einem Tag auf den anderen verschwunden war. Eibl-Eibesfeldt erzählt die Geschichte allerdings weitaus radikaler als Stein, zumal sie sich fast ausschließlich auf die Kinder konzentriert. Sie betrachtet den Film ohnehin weniger als Sozialdrama, sondern als "modernes Märchen in Schwarz-Weiß." Tatsächlich ist die Bildgestaltung von Jürgen Jürges famos, und das nicht allein wegen der ungewohnten Farblosigkeit; gerade bei den Nachtaufnahmen und beim Spiel mit Licht und Schatten sind dem Kameramann immer wieder eindrucksvolle Aufnahmen gelungen.

Auch Jürges’ bemerkenswerte Bilder können allerdings nicht kaschieren, dass "Im Spinnwebhaus" deutliche dramaturgische Schwächen hat. Eine Struktur ist nicht zu erkennen, das Drehbuch reiht Episode an Episode, weshalb es keine Spannungssteigerung gibt; dazu passt dann auch der kraftlose und entsprechend unbefriedigende Schluss. Das überrascht, denn Autorin Johanna Stuttmann hat die Vorlagen für einige sehr gute Filme geliefert, darunter die beiden ersten Arbeiten von Brigitte Maria Bertele, "Nacht vor Augen" (2008) und "Der Brand" (2010). "Im Spinnwebhaus" imponiert daher neben der reizvollen Ästhetik vor allem durch die Führung der drei Kinder. Gerade Ben Litwinschuh ist als zwölfjähriger Jonas beeindruckend. Sehr natürlich wirkt auch Helena Pieske als fünfjährige Marie. Einzig Lutz Simon Eilert stolpert mitunter über seine Dialoge, spielt seine Rolle als typisches Ritalinkind und entsprechende Nervensäge ansonsten aber gut.

Kamera und Geschichte bewegen sich auf Augenhöhe der Figuren

Anders als Stein liefert Stuttmann eine Erklärung für das Verhalten der Mutter: Sabine hat, wie sich später rausstellt, psychische Probleme. Die Französin Sylvie Testud, vor zwanzig Jahren durch Caroline Links Gehörlosen-Drama "Jenseits der Stille" bekannt geworden, verkörpert ihre Figur entsprechend ambivalent: Beim ausgelassenen Spiel, mit dem der Film beginnt, erscheint die alleinerziehende Mutter selbst wie ein großes Kind, aber als sie kurz drauf wieder mal völlig überfordert ist, wirkt sie schlagartig um Jahre gealtert. Als ihr Versuch, die Kinder beim Vater (Matthias Koeberlin) unterzubringen, scheitert, überlässt sie die drei ihrem Schicksal, um ihre Dämonen zu besiegen. Später findet Jonas ihre Tagebücher samt vielen düsteren Zeichnungen und erkennt: Die Dämonen, das sind sie, die Kinder. Trotzdem gelingt es ihm, den Schein zu wahren. Das Haus wird zur Müllhalde, aber die Sorgen einer Nachbarin oder von Maries Kindergärtnerin kann er geschickt zerstreuen. Der einzige Erwachsene, zu dem er Vertrauen fasst, ist ein offenbar obdachloser Punk, den Ludwig Trepte konsequent mysteriös verkörpert: Felix spricht gern in Reimen und ist neben den (allerdings etwas zu gewaltig geratenen) Spinnweben im Haus der Kinder für die märchenhaften Elemente des Films zuständig. Eibl-Eibesfeldt inszeniert ihn wie einen Waldgeist aus einer modernen Shakespeare-Adaption, auch wenn er bei seinem ersten Auftritt mit langem Mantel und klirrenden Sporen eher an eine Western-Figur erinnert.

Die Regisseurin hat dafür gesorgt, dass sich die Kamera und somit auch die Geschichte buchstäblich auf Augenhöhe der Hauptfiguren bewegen. Der Film ist für Kinder im Alter von Jonas, mit dem sie sich perfekt identifizieren können, durchaus geeignet. Junge Zuschauer werden "Im Spinnwebhaus" als Abenteuer betrachten und daher im Gegensatz zu Erwachsenen auch nicht als zu lang empfinden. Kleinere Kinder dürften dagegen einen fesselnd inszenierten Albtraum kurz vor Schluss, als Vögel tot vom Himmel fallen und Jonas scheinbar Opfer einer riesigen Spinne wird, als viel zu spannend empfinden, aber die späte Sendezeit schließt ein ganz junges Publikum ohnehin aus.