dpa
Zeitgenössische Darstellung des Titanic-Untergangs vor hundert Jahren (Reproaufnahme vom 14.01.1998).
"Die Welt hat aus dem Titanic-Untergang nichts gelernt"
Vor hundert Jahren, am 14. April 1912, sank das Kreuzfahrtschiff "Titanic". Der Katastrophenforscher Martin Voss sagt: Die Menschen waren schuld - nicht die Natur. "Es gibt nur noch ganz, ganz selten Katastrophen, für die Menschen nicht verantwortlich sind."
14.04.2012
epd
Jürgen Heilig

Das Muster der Moderne sei bis heute, die Risiken der Technik durch noch mehr Technik beherrschen zu wollen, sagte der Hochschulprofessor dem Evangelischen Pressedienst. "Statt unser Weltbild infrage stellen zu lassen, bauen wir nur bessere Schiffe, höhere Deiche oder wollen uns mit Frühwarnsystemen schützen."

Dabei sei der Untergang der Titanic damals bereits der erste Wendepunkt gewesen, der in der Hochphase der Technik-Euphorie diesen Mythos widerlegt habe, sagte der Soziologe, der mit der von ihm geleiteten Katastrophenforschungsstelle im Herbst von der Kieler Universität an die Freie Universität Berlin gewechselt war.

Nach den vielen Katastrophen der vergangenen Jahre sieht Voss allerdings momentan ein Umdenken. Dazu zählten der Tsunami in Südasien, das Erdbeben in Haiti, die Love-Parade in Duisburg oder der Atom-GAU in Japan. "Aber auch die Energiewende ist zunächst erst einmal nur ein Heilsversprechen wie es seinerzeit die Ankündigung war, mit der Titanic das sicherste Schiff der Welt zu bauen", sagte Voss.

Das Schicksal hängt vom Umgang mit der Technik ab

Die Titanic hatte bei ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York am 14. April 1912 kurz vor Mitternacht einen Eisberg gerammt und war innerhalb von drei Stunden gesunken. Das damals weltgrößte Schiff hatte als unsinkbar gegolten. Als Hauptursache für die Katastrophe, bei der rund 1.500 Menschen getötet wurden, gilt mangelnde Vorsicht und hohe Geschwindigkeit.

Voss zufolge hängt das Schicksal letztlich nicht von der Technik ab, sondern vom Umgang mit ihr: "Wenn wir wissen, dass ein Schiff untergehen kann, verhalten wir uns anders, als wenn wir glauben, es sei unsinkbar." Der Forscher plädiert für einen vorsichtigen Gebrauch des Begriffs Naturkatastrophe. "Beim genauen Blick lässt sich die Kausalkette fast immer auf den Menschen zurückführen." Schicksalhaft sei vielleicht ein Tsunami, aber dass viele Menschen in ärmlichen Behausungen an der Küste siedeln wie in Südasien, sei Folge politischer Entscheidungen: "Es gibt nur noch ganz, ganz selten Katastrophen, für die Menschen nicht verantwortlich sind."

Der Soziologe auch kritisiert Zerrbilder: "Panik ist eher ein Randphänomen und taucht bei weitem nicht so oft auf wie wir meinen." Gerade in der Medienberichterstattung wie etwa zur Duisburger Love-Parade werde der Anschein erweckt, als ob sich Menschen bei Katastrophen wie Tiere benähmen. "Bei näherem Blick ist aber viel solidarischeres Verhalten zu erkennen als zunächst vermutet." Voss räumt jedoch ein: "Wir brauchen schreiende Menschen in den Straßen, wir brauchen Einzelschicksale, damit uns das tödliche Geschehen noch berührt."