Johanneswerk: Mühseliger Kampf um mehr Pflegepersonal
Um Pflegebedürftige gut betreuen zu können, fehle Personal, kritisiert das Johanneswerk. Deshalb hätten Pflegekräfte oft zu wenig Zeit.
02.08.2016
epd
epd-Gespräch: Dirk Baas

Bielefeld (epd). Mit der Einbindung in das Landesrecht sind die acht Artikel der 2005 erarbeiteten Pflege-Charta in Nordrhein-Westfalen bindendes Gesetz geworden. Doch Anspruch und Praxisalltag zur optimalen Betreuung von Senioren klafften weit auseinander, sagte Bodo de Vries, Vizechef des Johanneswerkes, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Hauptproblem sei das fehlende Personal, um Pflegebedürftige angemessen betreuen zu können. Dessen Bemessung basiere auf Zahlen aus dem Jahr 1996, erläuterte der Vorstand des Bielefelder Trägers. Den Pflegekräften fehle deshalb vor allem eines: Zeit.

Jeder Mensch hat den Anspruch auf die Respektierung seiner Würde, auf ein selbstbestimmtes Leben. Das gilt auch für Bewohner von Alten- und Pflegeeinrichtungen, denen die acht Artikel der Pflegecharta, eine Art Grundrechtekatalog, besonderen Schutz garantieren sollen.

"Wir messen der Einhaltung eine hohe Bedeutung zu und verstehen die Grundrechte als Fundament und Kern unserer diakonischen Arbeit", betonte de Vries, dessen Einrichtung zu den Erstunterzeichnern gehörte und die Charta-Ziele als Selbstverpflichtung einführte.

Rahmenbedingungen massiv verändert

Seit zehn Jahren diene die Charta als Basis der permanenten Reflektion aller Beschäftigten. Sie habe "in der stationären Altenarbeit zur Entwicklung systematischer Maßnahmepläne für jede Einrichtung, zur Festlegung und Umsetzung von Standards geführt". Seit 2014 ist die Charta fast vollständig im Landesrecht von NRW verankert.

Dadurch sei eine besondere Situation entstanden. "Weil wir der Vorgabe mit unseren Personalressourcen nur unzureichend entsprechen können, sehen wir uns gefordert, Gespräche mit Politik und Landesregierung zu führen", beschreibt de Vries den Konflikt. "Wir arbeiten mit einem von der NRW-Landesregierung vorgehaltenen Personalvolumen im Bereich der Pflege, das sich seit 1996 nicht erhöht hat." Doch die Rahmenbedingungen in der stationären Pflege hätten sich massiv verändert.

So habe sich die Verweildauer in den Einrichtungen konstant reduziert. Das Alters-Institut für Versorgungsforschung und Geragogik, eine Johanneswerk-Tochter, hat die Verweildauer von 8.286 alten Menschen untersucht, die zwischen 2007 und 2014 in 34 stationären Einrichtungen in NRW verstorben sind. Ein Fünftel der Pflegebedürftigen stirbt demnach in den ersten vier Wochen, bis zum dritten Monat sterben 29 Prozent, nach einem Jahr 46,8 Prozent.

"Gesetzgeber gefordert"

Der Analyse zufolge leben Frauen bis zu ihrem Tod rund 35 Monate in einer stationären Pflegeeinrichtung, Männer dagegen nur 18 Monate. "Mit dem steigenden Männeranteil wiederum dominiert die professionelle Sterbebebetreuung - und das wird weiter zunehmen." Doch auch dafür fehle die Zeit. "Hier stoßen wir aufgrund des Personalvolumens an unsere Grenzen, und da ist der Gesetzgeber gefordert." Denn die Personalmengen orientieren sich an den Pflegestufen, die demnächst von Pflegegraden abgelöst werden.