Experte: Hilfe für traumatisierte Schüler auch während der Ferien
Viele Schüler waren vom Amoklauf am vergangenen Freitag in München betroffen. Nun beginnen die Schulferien - therapeutische Angebote stehen aber weiter zur Verfügung.
29.07.2016
epd
epd-Gespräch: Rudolf Stumberger

München (epd). Von dem Amoklauf am vergangenen Freitag in München sind auch die Schulen betroffen. Viele der Opfer und auch der Täter waren Schüler. Die therapeutischen Hilfen für die Jugendlichen sollen fortgesetzt werden, auch wenn jetzt die großen Ferien beginnen, sagte der Psychotherapeuth Hans-Joachim Röthlein dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Jugendlichen würden mit ihren Nöten nicht alleingelassen: "Alle Schulämter in und um München stehen im August für Anfragen nach Hilfe zur Verfügung", betonte der Sprecher des "Kriseninterventions- und Bewältigungsteam Bayerischer Schulpsychologinnen und -psychologen" (KIBBS).

"Das bleibt noch lange ein Thema"

Die Schulbehörden könnten Schüler und Eltern umgehend an Schulpsychologen oder ambulante psychologische Einrichtungen verweisen, sagte Röthlein: "Nach der Sommerpause wird die Aufarbeitung sicherlich weitergehen, das bleibt noch lange ein Thema."

Das Netzwerk KIBBS wurde 2002 nach den Bluttaten von Freising, wo es einen Amoklauf an einer Wirtschaftsschule gab, und Erfurt, wo das Gutenberg-Gymnasium Ziel einer Bluttat war, von der bayerischen Staatsregierung ins Leben gerufen. Ziel ist es, Lehrern und Schülern in solchen extremen Krisensituationen beizustehen. Röthlein ist für die Schulen in Oberbayern zuständig und sein Team umfasst 25 Schulpsychologen. Und die sind bereits seit vergangenen Samstag im Einsatz, um Lehrer zu beraten und Kinder zu betreuen.

Über die Bewältigung des Amoklaufes berichtet er: "Die erste Maßnahme war, die Schüler auf den Stand der Dinge zu bringen". Denn viele Schüler hätten geglaubt, es seien noch, wie zunächst vermutet, drei Täter auf der Flucht durch die Stadt.

Gemeinschaftsgefühl stärken

Der zweite Schritt habe darin bestanden, den Schülern wieder Sicherheit zu vermitteln. "Eine ganz schwierige Aufgabe", weiß Röthlein, denn manche Jugendliche würden sich nur sicher fühlen, wenn die Schule von innen abgeschlossen werde. Das sei ein Spagat zwischen zwei Maßnahmen, die Schule solle ja auch kein Gefängnis sein.

Ein dritter und sehr wichtiger Punkt bei der Bewältigung traumatischer Erfahrungen sei die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls. Der Körper, berichtet der Schulpsychologe, gerate bei Krisensituationen in eine Schockstarre, will angreifen oder fliehen, "und diese Schockstarre gilt es zu lösen". Das lasse sich am besten durch Bewegung erzielen: "Manche Schüler gehen umher, setzen sich, stehen wieder auf, sie bewegen sich und sammeln sich dabei."

Schließlich geht es um einzelne, hochtraumatisierte Schüler. Hier werde versucht, in Einzelgesprächen die Situation zu stabilisieren. Neben den Schülern bedürften aber auch die Lehrer der Hilfe bei der Bearbeitung ihrer Erfahrungen und Ängste. Röthling: "Die Schüler schauen auf ihre Lehrkräfte, registrieren genau, wie sie reagieren." Je sicherer die Lehrer der Situation begegneten, desto sicherer würden sich die Schüler fühlen.