Wie ist es für einen Buddhisten im Kloster?
Kiên Hoàng Lê: Ich hatte vor meinem einmonatigen Aufenthalt im Kapuziner-Kloster Stühlingen wenig Berührung mit christlichem Klosterleben. Deswegen hatte ich viele falsche Bilder im Kopf, durch Filme und Bücher. Ich dachte, Klosterleben sei verstockt und es herrschten viele Dogmen vor. Es gibt aber ziemlich viele Parallelen zwischen buddhistischen und christlichen Klöstern. Die Brüder und Schwestern im Kloster waren sehr offen. Offener als mancher Städter, den ich treffe. Sie waren sehr aufgeschlossen gegenüber meinem Denken und wir konnten uns sehr gut streiten. Im positiven Sinne. Und letztlich lagen wir recht nah beieinander. Denn im Grunde ist es fast egal, ob man es Gott nennt oder eine Herangehensweise an das Leben. Das fand ich das Spannende bei den Brüdern und Schwestern im Kloster. Das Klosterleben in Stühlingen hat meine stereotypen Klosterbilder auch deshalb gebrochen, weil die Brüder und Schwestern dort gleichberechtigt zusammen leben.
Die Parallele zwischen Buddhismus und katholischem Klosterleben ist für Sie die Herangehensweise an das Leben?
Kiên Hoàng Lê: Einen Bruder habe ich gefragt, ob er an Gott glaubt. Er meinte, er weiß es nicht. Denn, wenn man sich so sicher sein könnte, dass Gott da ist, dann gibt man die Verantwortung ab. Und das ist auch Teil des Buddhismus, dass man sein Schaffen und seine Reaktionen mit anderen Menschen immer wieder reflektieren muss. Man gibt die Verantwortung nicht an Gott ab, sondern muss sich selbst entwickeln. Das fand ich einen faszinierenden Gedanken des Bruders und ich hatte das von einem katholischen Ordensmann nicht erwartet. Im Buddhistischen geht es auch darum, ein achtsames Leben zu führen. Im christlichen Klosterleben ist das, meiner Erfahrung nach, die gleiche Herausforderung.
Kiên Hoàng Lê ist seinem inneren Ruf gefolgt. Auf seinen Reisen hat er Klöster in Indien, Südostasien und Australien besucht und dabei die Freiheit gefunden, seine fotografische Leidenschaft in den Mittelpunkt seines Lebens zu rücken. Er konzentriert sich auf journalistische und dokumentarische Fotografie.
In ihrem Bildprojekt wird auch ein kleiner Konflikt deutlich: Zwischen Wirtschaftlichkeit im Kloster und Spiritualität.
Kiên Hoàng Lê: Das Kloster ist eine Wohngemeinschaft und es passiert auch schon, dass Brüder oder Schwestern versetzt werden, wenn das Miteinander nicht funktioniert. Was noch dazu kommt ist die Säkularisierung, dass die Klöster keine Kraft mehr haben, sich dem spirituellen Leben zu widmen. Sie sind oft damit beschäftigt, Feuer zu bekämpfen und den Abbau zu verwalten. Das tut mir auch leid, dass das bei vielen Klöstern so ist. Das spirituelle Leben passiert oft nur noch zwischendurch. Das war die Kritik eines Bruders aus Stühlingen. Viele Klöster müssen geschlossen werden - und das zu entscheiden, welche Klöster geschlossen werden müssen, das ist ein Riesenproblem.
Sie haben gesagt, die Menschen im Kloster seien offener als viele Städter. Wo sehen Sie die Vorteile des Klosterlebens im Vergleich zum Leben in der Stadt?
Kiên Hoàng Lê: Mir ist aufgefallen, dass man im Kloster theoretisch mehr Freiheit hat zu tun oder zu lassen, was man will. Im ersten Augenblick sieht das Klosterleben nach einer Einschränkung der Freiheit aus. Aber auf den zweiten Blick gibt es ihnen eine ganz andere Freiheit wieder zurück.
Welches ist die Kloster-Freiheit und welche Vorteile hat sie?
Kiên Hoàng Lê: Ich glaube, im Kloster kann man sich einfach und schnell selbst verwirklichen. Im Sinne einer Berufung: Dazu gehört zum einen der Glaube an Gott und zum anderen können sie sich größtenteils erwählen, was sie machen. Es gibt beispielsweise Brüder die nach Spanien oder Rom gehen für einen Austausch. Dann gibt es die, die gut in der Jugendarbeit sind und andere, die gut predigen können. Wieder ein anderer arbeitet gerne im Garten oder handwerklich. Und das können sie ganz gut steuern, wohin sie gehen - je nachdem, wer was kann. Ich finde, das ist in der städtischen Gesellschaft weniger gegeben. Denn wenn man das Geld braucht, kündigt man nicht so einfach seinen Job.
Warum gehen dann nicht mehr Leute ins Kloster?
Kiên Hoàng Lê: Weil sie keinen Partner dort haben könnten und der andere Grund ist, dass die Berufswahl nicht ganz so vielfältig ist. So richtige Künstler gibt es im Kloster beispielsweise dann doch nicht.
Was kann man vom Klosterleben lernen?
Kiên Hoàng Lê: Die Art Konflikte auszutragen hat mich im Kloster beeindruckt. Der Kapuziner-Orden steht vor sehr harten Einschnitte, weil viele Klöster geschlossen werden müssen. Auf einem großen Treffen dazu ging es aber sehr ruhig zu. Die Art der Mediation ließ sie das Thema sehr friedlich besprechen. Und dann die Art der Brüder und Schwestern überhaupt, ihre Konflikte anzugehen. Eine Zeitlang habe ich meine Beziehungen schnell gewechselt. Dann, wenn Konflikte aufkamen nämlich. Ich war nicht bereit sie auszutragen. Ich glaube, das ist symptomatisch für viele meiner Generation. Die Brüder der Kapuziner nehmen sich die Zeit, einen Konflikt auszutragen.
Haben Sie während ihrer Klostererfahrung darüber nachgedacht, wie Sie leben wollen?
Kiên Hoàng Lê: Ja, ganz viel. Ich gehe oft ins Kloster. Wenn ich zurückkomme, dann bin ich viel entspannter und ruhiger. Obwohl ich ja auch häufig im Kloster bin, um zu arbeiten. Es liegt wohl daran, dass die Menschen im Kloster eine bestimmte Routine haben. Und wenn deine Umgebung entspannt ist, dann wirst auch du gelassener. Das Kloster hat mich zu einem zufriedeneren Menschen gemacht. Das entspannende finde ich auch, dass man sich nicht um alles alleine kümmern muss. Es wurde für mich gekocht und gewaschen. Und manchmal habe ich für alle gekocht.
"Entweder man hat einen inneren Ruf oder es gibt eine äußere Doktrin. Sonst verzweifelt der Mensch." Diesen Satz haben Sie in ihrem Essay über das Kloster Stühlingen zitiert. Er ist von Joseph Campbell aus dem Buch "Der Heros in tausend Gestalten". Was kommt im Kloster zur Geltung, Ruf oder Doktrin?
Kiên Hoàng Lê: Da gibt es sicherlich beides. Die einen suchen die Struktur und die anderen haben ein Sendungsbewusstsein. Ich glaube, dass eine oder andere ist in den Menschen angelegt. Wenn man in jungen Jahren ins Kloster geht, hat man die Möglichkeit sich frei zu entfalten.
Wem empfehlen Sie einen Aufenthalt im Kloster?
So eine Woche zum Mitmachen würde ich jedem empfehlen. Um über den Tellerrand zu schauen. Das Kloster ist ein schöner Ort, um zu gucken, wo man steht und was man mit seinem Leben anfangen will und kann. Aber Klöster sind sehr unterschiedlich. Man kann nur an einzelnen Klöstern festmachen, was zu einem passt. Schon unter den katholischen Klöstern, die ich besucht habe, gibt es große Unterschiede. Es hängt davon ab, wie stark sie sich der Welt zu wenden oder sich abschotten. Bei den Benediktinern fühlte ich mich sehr begrenzt, da gab es viele Riten und ich durfte mich nicht so frei bewegen. Wenn sie gemeinsam essen, darf man zum Beispiel nicht reden. Für mich waren die Kapuziner die offensten unter den katholischen Kloster-Gemeinschaften, die ich besucht habe. Und somit am Kompatibelsten zu den Städtern.