Münster (epd). Die Berichterstattung schaffe Recherchequellen für spätere Täter, sagt Robert Kahr, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule der Polizei in Münster, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er ist Mitherausgeber des Buchs "Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus".
Betroffene Menschen nähmen ihre Umwelt als feindlich wahr, flüchteten in Gewaltfantasien und statteten diese immer mehr aus, erklärt Kahr. Dabei suchten sie auch nach Vorbildern und da spiele die Berichterstattung in den Medien eine Rolle. "Im Laufe dieser Entwicklung kommt eine Recherchephase nach Vorbildern: 'Was haben andere Menschen gemacht, die in einer ähnlichen Situation wie ich waren?'", sagt Kahr. Der Attentäter von München habe sich intensiv mit dem Amoklauf von Winnenden 2009 und dem Mörder Anders Breivik beschäftigt.
Identifikationsangebote sind real
Besonders Amokläufer an Schulen inszenierten sich als düsterer Held oder starker Rächer an den vermeintlichen Peinigern und lieferten damit Identifikationsangebote, sagt Kahr weiter. Der Amoklauf diene dabei als Kommunikationsstrategie, um die eigene Botschaft zu verbreiten. "Und dafür liefern die Medien sozusagen den Sauerstoff."
Das heißt nicht, dass Medien gar nicht berichten sollen. Aber sie können einiges tun, um keine Inspirationen für Nachahmer zu schaffen. So sollten sie auf vereinfachende Erklärungen verzichten, erklärt Kahr: "Das ist eine hochkomplexe Tat, die viele Jahre lang gegärt hat." Ein einziger Grund für den Gewaltausbruch sei dann nicht zu bestimmen. Die Tat dürfe außerdem nicht romantisiert und nicht zu konkret dargestellt werden. Die Medien sollten auch auf emotionales Bildmaterial verzichten, um die Fantasien von Nachahmungstätern nicht noch weiter anzuregen.
Medien sollten auch die Trauer der Hinterbliebenen darstellen
Auch einige Empfehlungen für die Berichterstattung hat Kahr. Journalisten sollten die Folgen der Tat in den Mittelpunkt rücken, die Trauer der Hinterbliebenen darstellen. "Der Täter ist kein Held. Helden sind Menschen, die mit der Tat umgehen müssen." Die Medien könnten auch Auswege aus Lebenskrisen zeigen, darstellen, dass andere Menschen Wege zu einer gewaltlosen Lösung gefunden hätten. Auf die Verbreitung von Gerüchten sollte verzichtet, Opfer und Hinterbliebene nicht zu Stellungnahmen gedrängt werden.
Als Richtschnur empfiehlt Kahr, sich die Frage zu stellen, was der Täter gewollt habe. Und sich dann nicht instrumentalisieren zu lassen.