Demonstration für die Homo-Ehe in Sydney, Australien, im August 2015.
Foto: dpa/Carol Cho
Demonstration für die Homo-Ehe in Sydney, Australien, im August 2015.
Australien und die Homo-Ehe: Ein Scherbenhaufen
Die Homo-Ehe war mit das große Wahlkampfthema in der australischen Parlamentswahl. Während Religionsvertreter sich gegen sie aussprechen, ist die Mehrheit der Christen für sie. Prominente Protestanten und Katholiken warnen vor dem Konflikt zwischen Laien und Klerikern.

"Es ist wirklich schockierend, dass jemand wie ich, der dem höchsten Gericht und dem Land gedient hat, der ein guter Bürger ist, eine stabile Familie hat, der Familienwerte schätzt, in seinem eigenen Land noch immer ein Bürger zweiter Klasse ist." So emotional beschreibt Michael Kirby seinen Frust darüber, dass er als schwuler Mann nicht die Ehe eingehen darf. Kirby war bis zu seinem Ruhestand der höchste Richter Australiens.

Wie in anderen westlichen Ländern wird auch in Australien über die Einführung der so genannten Homo-Ehe diskutiert. Nur um einiges erbitterter und härter – und abstruser, möchte man sagen. Denn eigentlich ist die Sache längst entschieden. Seit Jahren zeigen alle Umfragen: rund 70 Prozent der Australier sind für die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Auch die Wirtschaft sagt "Ja", wie die vielen hundert Unternehmenslogos auf der Webseite der Australian Marriage Equality zeigen. Mit einem "Ja" zur Homo-Ehe haben auch mehr als dreißig Pastoren und Bischöfe evangelischer und evangelikaler Kirchen in einem offenen Brief an 60.000 Gläubige Stellung bezogen.

Kirchen und Religionsgemeinschaften sperren sich

Unterstützung erfährt die Kampagne für Ehegleichheit, deren Markenzeichen ein mit den Fingern geformtes Herz ist, zudem von Wissenschaftlern, Universitäten und Promis – darunter beinharte Rugbyspieler und glamouröse Filmstars wie Hugh Jackman (X-Men) oder Olivia Newton-John (Grease). Selbst eine Reihe von Spitzenpolitikern der konservativen Liberalen Partei als auch der Jugendverband der noch konservativeren Nationalen Partei haben sich als Befürworter der Ehe für alle geoutet. Shirleene Robinson, eine Sprecherin des Netzwerkes Australian Marriage Equality (AME) bilanziert: "Für die meisten Australier ist das eigentlich kein Thema mehr. Das Land ist mehr als bereit für diese Reform."

Nicht bereit für die Reform sind die Führungen der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Ehe als Vereinigung von Mann und Frau "reflektiert eine über gesellschaftliche Gruppen, Religionen und Kulturen tief verwurzelte Wahrheit", hieß es in dem Schreiben von 38 katholischen und anglikanischen Bischöfen, Repräsentanten orthodoxer, protestantischer und evangelikaler Kirchen, Rabbiner der australischen Juden sowie führende Vertreter des sunnitischen und schiitischen Islam an die australische Regierung.

Auf der politischen Ebene sperren sich die konservative Liberale Partei und die noch konservativere Nationale Partei gegen die Ehegleichheit. Ob in der Opposition, ob - wie jetzt - an der Regierung: die Führungen der sich in guten wie in schlechten Zeiten in einer Dauerkoalition befindlichen Parteien weigern sich standhaft, bei Abstimmungen im Parlament über die Homo-Ehe den Fraktionszwang aufzuheben.

Sie wissen: Ohne Fraktionszwang steht die parlamentarische Mehrheit für die Ehereform. Ein überparteiliches "Ja" zur Homo-Ehe aber würde das Verhältnis der Koalition zu den Kirchen trüben und, schlimmer noch, Stimmen in Wahlkreisen kosten, in denen Regierung und Opposition nahezu gleichauf liegen. In dieser Situation versprach Premierminister Malcolm Turnbull den Wählern, im Falle seiner Wiederwahl noch in diesem Jahr das Volk in einem Referendum über die Homo-Ehe entscheiden zu lassen. Oppositionsführer Bill Shorten von der Australischen Labor Partei (ALP) hingegen versicherte, er werde als Premierminister innerhalb der ersten 100 Tage seiner Regierung das Parlament darüber abstimmen lassen.

Australiens Politik ist derzeit ein Scherbenhaufen

Damit wurde die Homo-Ehe zu einem Wahlkampfthema, das großen Themen wie die schwierige wirtschaftliche Zukunft und die zunehmende soziale Ungleichheit Australiens überschattete. Dann kam der 2. Juli 2016, der Wahltag. Seitdem ist Australiens Politik ein Scherbenhaufen. Auch jetzt, drei Wochen nach dem Urnengang, sind die neuen Machtverhältnisse ungewiss. Die Auszählung der Stimmen zieht sich hin.
 
Klar ist bisher nur: Dank der Unterstützung eines parteilosen Abgeordneten im Repräsentantenhaus kann die Koalition aus Liberaler und Nationaler Partei mit der knappen Mehrheit von einer Stimme weiterregieren. Die genaue Sitzverteilung im Senat wird allerdings erst irgendwann im August feststehen. Aber auch für die zweite Parlamentskammer zeichnet sich ab, dass Turnbull auf keine eigene Mehrheit hoffen kann.
 
Die Koalition hat Wählerstimmen verloren. Davon profitierte aber nicht die ALP. Auch in Australien habe viele Wähler die Nase voll von den etablierten Parteien. Eine populistische Protestpartei vom Schlag der AfD gibt es (noch) nicht. Die Alternative für die Australier sind Klein(st)parteien und unabhängige Kandidaten von rechts bis links und von denen haben es mehr denn je in das Repräsentantenhaus und vor allem in den Senat geschafft. Deren Wohlwollen wird sich Turnbull mit allerlei politischen Zugeständnissen von Fall zu Fall erkaufen müssen.

Mehrheit der Christen will die Homo-Ehe

Wahlverlierer sind in einem gewissen Sinn auch die Kirchen. Viele Gläubige hören nicht mehr bedingungslos auf die Bischöfe. Religionen stehen in Australien nicht mehr hoch im Kurs. Bekannten sich 1901 die Australier noch zu fast einhundert Prozent zum Christentum, gaben bei der letzten Volkszählung 2011 nur noch 61 Prozent an, ihre Religion sei eine "Art Christentum". Unter den konfessionsgebundenen Christen waren die Katholiken mit 25 Prozent die Spitzenreiter, gefolgt von den Anglikanern mit 17 Prozent. Dazwischen liegen mit 22 Prozent die 4,7 Millionen religionslosen Australier – Tendenz steigend.

Für die Homo-Ehe heißt das: auch die Mehrheit der Christen sagt "Ja". Nur noch 30 Prozent der für das Wahlkampfspezial "Vote Compass" des australischen Senders ABC befragten Katholiken sehen die Ehe als ausschließlich für Mann und Frau reservierte Institution. Bei den Anhängern der zahlreichen evangelischen Konfessionen sind noch 48 Prozent dieser Ansicht.

Einig sind sich die großen Kirchen allerdings mit der Mehrheit der Australier, der Labor Partei, den Grünen und eine Reihe der neuen unabhängigen Abgeordneten in ihrer Ablehnung des Homo-Ehereferendums. Eine kontroverse, stark "politisierte moralische" Debatte des Pro- und Kontra-Lagers könne zu einem Konflikt zwischen Laien und Klerikern führen, Glaubensgemeinschaften "marginalisieren" sowie Schwule und Lesben von Glaubensgemeinschaften "entfremden", warnen prominente Katholiken und Protestanten.

Oppositionsführer Bill Shorten appelliert an Turnbull, "Hass und Homophobie" keine "Plattform" durch das Referendum zu bieten. Wohin Hass auf andere führen könne, so Shorten, habe das Massaker an 50 schwulen Männern in einem Nachtklub in Orlando in den USA gezeigt.

Das Referendum, dessen Ausgang für Regierung und Parlament nicht bindend ist, wird nach Schätzung der staatlichen Wahlkommission den Steuerzahler umgerechnet 107 Millionen Euro kosten. Hinzu kommen geschätzte Kosten von rund 44,5 Millionen Euro für die Pro- und Kontra-Kampagne. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) rechnet zudem mit einem wirtschaftlichen Produktivitätsverlust von umgerechnet 189 Millionen Euro plus Kosten von rund 13,5 Millionen Euro durch die "negativen Auswirkungen der Kampagne auf das psychische Wohlbefinden der Gay Community".

Summa summarum bürdet die konservative Regierung Australien lieber Kosten von 354 Millionen Euro auf, als den Abgeordneten das demokratischste aller demokratischen Rechte zu erlauben: frei nach ihrem Gewissen abzustimmen.