Die ARD-Tochter Degeto hatte in ihrer sogenannten Süßstoffzeit gleich zwei Hotelreihen: "Traumhotel" mit Christian Kohlund stand für den Flair der großen weiten Welt und handelte ähnlich wie das ZDF-Pendant "Traumschiff" vor allem von den Gastschicksalen, während sich "Der Schwarzwaldhof" mit Saskia Vester und Michael Fitz neben der unvermeidlichen Liebesgeschichte vor allem auf die Hoteliersfamilie konzentrierte. Das ist bei "Hotel Heidelberg" ganz ähnlich; tatsächlich wirken die ersten Minuten wie ein Rückfall in alte Degeto-Zeiten. Das ändert sich aber recht bald, schließlich stammt das Drehbuch von Martin Rauhaus ("Ein starker Abgang"), der schon manches Mal bewiesen hat, dass er auch vermeintlich leichten Stoffen Tiefe abgewinnt; von den vorzüglichen Dialogen seiner Drehbücher ganz zu schweigen. Auch die ausgezeichnete Besetzung sorgt dafür, dass sich die Reihe qualitativ deutlich von vielen vergleichbaren Produktionen absetzt. Andererseits gibt es dank des schönen Schauplatzes genug Augenfutter: Das Hotel liegt am Neckarufer und bietet einen direkten Blick auf den berühmten Schlossberg; selbstredend sorgen Regisseur Michael Rowitz und sein Kameramann Dietmar Koelzer dafür, dass Stadt und Fluss angemessen zur Geltung kommen.
Hotel Heidelberg steckt tief in den roten Zahlen
Ähnlich erwartbar entwickelt sich zunächst das dramaturgische Grundkonzept: Vor vierzig Jahren hat Hermine Kramer (Hannelore Hoger) gemeinsam mit ihrem Mann Günter (Rüdiger Vogler) in Heidelberg ein heruntergekommenes Etablissement und daraus das erste Haus am Platz gemacht. Nun ist sie siebzig, der Gatte spielt schon lange nur noch eine Nebenrolle in ihrem Leben, und im Hotel kommt es nahezu täglich zu Kompetenzstreitigkeiten mit ihrer Tochter: Annette (Ulrike C. Tscharre) hat die Geschäftsführung übernommen, aber Hermine kann nicht loslassen. Außerdem ist die streitbare alte Dame eine leidenschaftliche Pokerspielerin, und da sie für ihre Spielschulden aufs Firmenkonto zurückgreift, steckt das Hotel Heidelberg tief in den roten Zahlen; so tief, dass die Hausbank den Kredit gekündigt hat. Das wiederum hat Methode: Bankchef Kornfeld (Martin Brambach) ist auf die wertvolle Immobilie scharf.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Weil der Ärger zwischen Mutter und Tochter dem Muster vieler vergleichbarer Geschichten gehorcht, sorgt die Beziehung zwischen Annette und ihrem Therapeuten für angenehme Abwechslung: Ingolf Muthenius (Christoph Maria Herbst) ist umgehend angetan von der attraktiven Frau, die ihn um Hilfe bittet. Rasch findet der Therapeut heraus, dass die verwitwete Annette ihr eigenes Wohlbefinden viel zu lange vernachlässigt hat. Also gönnt sie sich eine spontane Auszeit, was prompt zur Folge hat, dass im Hotel das pure Chaos ausbricht. Und die drohende Pleite schwebt nach wie vor wie ein Damokles-Schwert über der gesamten Familie.
Auch wenn Hannelore Hoger die ebenso störrische wie kratzbürstige alte Dame ähnlich anlegt wie viele vergleichbare Figuren der letzten Jahre: Es ist vor allem die Zeichnung der Charaktere, die "Hotel Heidelberg" doch noch zu einem würdigen Werk innerhalb der neuen, ungleich anspruchsvolleren Degeto-Philosophie macht. Eine der intensivsten Szenen bestreitet Hoger im Alleingang, als Hermine, nicht mehr ganz nüchtern, in der Hotelbar in einem einsamen Monolog ihr Leben resümiert. Herbst und Tscharre spielen ihre zunächst uneingestandenen Gefühle ohnehin sehr hübsch; dank Herbsts Klasse lässt sich sogar verschmerzen, dass die durch Annettes Liebreiz ausgelöste Regression des Psychotherapeuten, der in den Gesprächen mit ihr regelmäßig ins Stottern kommt, nicht sonderlich originell ist. Im Vordergrund steht aber ohnehin die Rettung des Hotels; auf die entsprechenden Konflikte innerhalb der Familie bezieht sich der Titel "Kramer gegen Kramer", eine Anspielung auf den gleichnamigen Hollywood-Film, in dem es allerdings um einen Scheidungskrieg geht. Die drohende Pleite birgt natürlich viel Dramastoff, sorgt aber auch ähnlich wie die Romanze auch für komische Momente; die eigentliche Drama-Ebene dreht sich um einen liebenswürdigen älteren Herrn (Bram van der Vlugt) aus Holland, der sich offenbar ausgerechnet im Hotel Heidelberg das Leben nehmen will.