Unicef: 250 Millionen Kinder wachsen in Konfliktregionen auf
Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute - jeder zweite Flüchtling ist ein Kind. Das UN-Kinderhilfswerk ruft zum Handeln auf: Schutz und Bildung können Kindern in Kriegsgebieten zum Überleben verhelfen.

Berlin (epd). So viele Kinder wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr leiden heute unter bewaffneten Konflikten. 250 Millionen Kinder leben in Kriegs- und Krisenregionen, wie aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef hervorgeht. Das Ausmaß der Gewalt gegen die Schwächsten übersteige alles, was das Hilfswerk seit seiner Gründung vor 70 Jahren registriert habe, heißt es in dem Unicef-Report 2016.

Unicef zufolge wächst jedes neunte Kind in einer Region auf, in der Gewalt und bewaffnete Konflikte seine Kindheit prägen. Allein 2015 wurden 16 Millionen Kinder in Konfliktregionen geboren. 75 Millionen Kinder zwischen drei und 18 Jahren können nicht in den Kindergarten und nicht oder nur unregelmäßig zur Schule gehen. Jeden Tag werden Unicef zufolge im Durchschnitt vier Schulen und Krankenhäuser zur Zielscheibe bewaffneter Angriffe. Allein in Nigeria zerstörte die Terrortruppe Boko Haram 1.200 Schulen und ermordete mehr als 600 Lehrer.

Gegen Pläne der EU-Kommission

Der Vorsitzende von Unicef Deutschland, Jürgen Heraeus, verurteilte Pläne der EU-Kommission, die Militärausgaben zu erhöhen. Wenn er höre, dass die EU Gelder umschichten wolle vom Entwicklungshaushalt in den Verteidigungshaushalt, "dann wird mir schlecht. Das hat noch nie funktioniert", sagte Heraeus. Die EU-Kommission will künftig im Kontext der Entwicklungspolitik auch Militär in bestimmten Partnerländern ausrüsten helfen. Entsprechende Pläne wollte die Behörde dem Vernehmen nach am Dienstag in Straßburg vorstellen.

Der Leiter der weltweiten Kinderschutzprogramme von Unicef, Cornelius Williams, wies auf die schweren Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen hin. Unicef-Teams in den Krisengebieten dokumentieren Entführungen, Folter, Vergewaltigungen und die Ermordung von Kindern, um Erwachsene einzuschüchtern und zu demoralisieren. Als Konsequenz versuchten Eltern beispielsweise, ihre Töchter früh zu verheiraten, um ihnen einen gewissen Schutz zu geben. In Jordanien ist Unicef-Angaben zufolge heute jedes dritte Mädchen unter 18 verheiratet, vor Beginn der Krise waren es 13 Prozent.

Allein im Nahen Osten sind nach Schätzung von Unicef 20 Prozent aller Kinder gefährdet, leichte und drei bis vier Prozent schwere psychische Probleme zu entwickeln, wenn ihnen nicht geholfen wird. Notschulen und psychosoziale Hilfsangebote seien wirksame Mittel, um Kinder in Krisengebieten zu stabilisieren, heißt es im Unicef-Bericht.

150.000 Babys auf der Flucht geboren

Ein Beispiel für die Arbeit des Kinderhilfswerks ist das Programm "No Lost Generation" für syrische Kinder, das auch von der Bundesregierung unterstützt wird. 2014 haben 2,8 Millionen Kinder in Syrien und in den Nachbarländern Lernmaterial erhalten. Mehr als 600.000 syrische Flüchtlingskinder im Irak, in Jordanien, im Libanon, in der Türke und in Ägypten wurden psychosozial betreut.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagte, allein in Syrien seien in den vergangenen fünf Jahren 150.000 Babys auf der Flucht geboren worden. Die Kinder lebten heute in "Krieg, Krise und Not". Kinder machten die Hälfte aller acht Millionen Syrien-Flüchtlinge aus. Gemeinsam mit dem UN-Hilfswerk habe Deutschland 500.000 Schulplätze in den Fluchtländern finanziert. Die Mittel aus dem Entwicklungsetat für die Arbeit von Unicef in der Syrienkrise seien seit 2013 versechsfacht worden.