Pfarrernachwuchs
Foto: Miguel-Pascal Schaar
Die Evangelische Kirche sucht bundesweit Nachwuchs für das Theologie-Studium.
"Haben Pfarrer noch Sex?"
Die Evangelische Kirche sucht bundesweit Nachwuchs für das Theologie-Studium. Dabei geht es vor allem um vorherrschende Bilder vom Pfarrberuf - und die Realität.

Christoph Vogel ist sich sicher: "Die Vielgestaltigkeit, die Abwechslung und die sinnstiftende Arbeit machen den Pfarrberuf so attraktiv". Dennoch macht er sich Sorgen: Der theologische Nachwuchs wird rar. Die Zahl derer, die sich für ein Theologiestudium entscheiden, sinkt. Vogel ist promovierter Theologe und Leiter der Ausbildungsabteilung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Immer weniger Kandidaten für eine spätere Karriere in der Kirche stehen vor seiner Bürotür im Konsistorium. Weniger Nachwuchs führt zu verwaisten Stellen in den Kirchengemeinden, nicht nur im Osten Deutschlands. Weniger Leute vor Ort heißt: Rückzug aus der Fläche, mehr verwaiste Gemeinden und weniger persönlich erfahrbare Kirche vor Ort.

Um auch künftig Pfarrerinnen und Pfarrer in die Kirchengemeinden entsenden zu können, wollen ab Herbst die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und ihre Landeskirchen verstärkt um Studierende für die evangelische Theologie werben. Die EKD kooperiert zu diesem Zweck mit der Evangelischen Schulstiftung und der Theologischen Fakultät in Berlin. Im September startet eine EKD-weite "Nachwuchskampagne zum Pfarrberuf". Das Ziel: Schülerinnen und Schüler sollen auf die Kirche als möglichen Arbeitgeber hingewiesen werden, sich für ein Theologiestudium begeistern und zeitnah dafür an den Hochschulen einschreiben. Ein zentraler Web-Auftritt sowie Plakate werden zentrale Elemente der Kampagne sein, um die begehrte junge Zielgruppe zu erreichen.

Jonas Rühle ist Lehrvikar und soll für den Pfarrerberuf werben.

Gesucht wurden im Vorfeld bundesweit Pfarrerinnen und Vikare, die mit ihrem Kopf und einem eigenen motivierenden Motto dem potenziellen theologischen Nachwuchs das wissenschaftliche Studium nahe bringen wollen. Jonas Rühle wurde ausgewählt und ist Teil der Kampagne. Sein Gesicht soll werben und Sympathie für seinen geistlichen Job wecken. Rühle weiß: "Man kann den Beruf des Pfarrers unglaublich facettenreich gestalten, aber man muss die Idee von Kirche verinnerlicht haben." Der 30-Jährige ist Lehrvikar in Baden und motiviert: "Kirche baut sich nicht von den Menschen her, sondern es ist immer ein Geschöpf Gottes. Diesen Auftrag muss man lieben. Wenn man ihn liebt und weiß, man ist nicht der Heiland, sondern einfach ein Bote, also jemand der auf ihn hinweist, dann arbeitet es sich auch mit einer ganz anderen Leichtigkeit und Freude."

Ende Juni machte sich Rühle auf den Weg nach Berlin. Er und andere Akteure der Kampagne trafen auf Jugendliche. "Wir suchen das Gespräch mit denen, die später in den Pfarrberuf kommen sollen", so der einladende Christoph Vogel. Dafür gäbe es "keinen besseren Ort als eine theologische Fakultät". Mitveranstalterin Hildrun Keßler ergänzt: "Wir wollten von den Jugendlichen wissen, womit wir werben können und auch was abturnt. Wir wollen wissen, was die Schülerinnen und Schüler wirklich interessiert." Keßler ist Referentin für Hochschulwesen und theologisch-kirchliche Ausbildung im Kirchenamt der EKD.

Rund 40 Schülerinnen und Schüler aus evangelischen Schulen aus Brandenburg und Berlin folgten der Einladung zu einem "Interaktiven Workshoptag" in die Räume der Humboldt-Universität zu Berlin, um sich mit dem Pfarrberuf und ihren eigenen Bildern davon auseinander zu setzen. Schülerfragen gab es viele, sie hatten Raum und durften jungen Pfarrerinnen und Pfarrern gestellt werden: Darf ein Pfarrer Glaubenszweifel haben? Ist eine Pfarrerin immer im Dienst? Was verdiene ich als Pastorin? Haben Pfarrer trotz vieler Arbeit noch Sex und Zeit für die Beziehung?

Jonas Rühle stellte sich den Fragen der Jugendlichen. Sein Fazit nach mehreren Gesprächsrunden: "Das Kirchenbild dieser Generation ist nicht besonders gut ausgeprägt. Das tut mir leid. Es schmerzt mich, zu erfahren, dass für sie Kirche nicht besonders relevant ist. Die Kirche hat es insgesamt schwer, die "Generation Y" zu erreichen." Eine ihrer Hauptfragen sei doch: "Was bringt es?" Darauf müsse man Antworten finden. "Ja, warum ist es sinnvoll, Theologie zu studieren? Was bringt es mir? Was bringt es anderen? Und welchen Sinn macht es vor Gott? Wir brauchen Räume, wo diese Fragen gestellt werden können und diese Jugendlichen Lust bekommen, diese Fragen zu stellen", so Rühle.

Die Ausbildenden der EKBO haben erkannt: "Um den Nachwuchs müssen sich alle kümmern, jedes Unternehmen und jede Organisation", so Christoph Vogel. Wer sich um den Nachwuchs nicht kümmere, sei selbst schuld. "Es ist eine andere Situation als vor 20 Jahren, wo wir viele Bewerbungen, aber wenig Stellen hatten." Diese Erkenntnis habe sich auch in den anderen Ausbildungsdezernaten der Landeskirchen durchgesetzt.

Die gemeinsame Herbst-Kampagne ziele zudem auf kirchliche Mitarbeitende, so Hildrun Keßler von der EKD. "Die wollen wir stärken, auch in der Hinsicht, zu schauen, wer sich in der Gemeinde für ein Theologiestudium eignen würde." Zudem sei eine wachsende Nachfrage von Quereinsteigern festzustellen, also von Menschen, die erst später ein Theologiestudium aufnehmen wollen. Das "Brennen des Einzelnen und die Kompetenz durch eine gute Ausbildung für den Beruf" sei, so Keßler, eine Grundvoraussetzung für den Pfarrdienst.