Außerdem gehen sie davon aus, dass die "Shopping Mall" im Zuge der Gentrifizierung der erste Schritt zu einem grundlegenden Wandel des Viertels wäre. Die Einzelhändler der Umgebung fürchten zu Recht um ihre Einnahmen. Bewegt von der Frage, wem die Stadt denn eigentlich gehöre, schließen sich die Betroffenen zu einer Bürgerinitiative zusammen. Aber plötzlich zaubert die Stadt eine Alternative aus dem Hut: Ehrenfeld braucht dringend eine neue Schule, das Gelände wäre der ideale Ort dafür; auch wenn die Stadt gar kein Geld hat, um das Grundstück zu kaufen.
Filmemacherin Anna Ditges (Buch, Regie, Kamera, Produktion) hat "Wem gehört die Stadt" quasi im Alleingang produziert. Sie lebte damals in Ehrenfeld, und als sie von den Plänen hörte, hat sie sich ihre Kamera geschnappt und die erste Infoveranstaltung besucht. Zwei Jahre lang hat sie die Ereignisse dokumentiert und mit den Menschen gesprochen: mit dem Investor, mit dem Bezirksbürgermeister, mit den Wortführern der Initiative und mit den kleinen Leuten, die schon seit Jahrzehnten in Ehrenfeld leben und denen nun die Entwurzelung droht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Handwerklich ist der Film, mit dem die ZDF-Redaktion des Kleinen Fernsehspiels die vierteilige Reihe "100% Leben – Wir könn(t)en auch anders" eröffnet, denkbar schlicht, die Aufnahmen entbehren jeder Raffinesse, was das Werk sehr undynamisch wirken lässt: Leute reden, die Kamera schaut zu. Auch die Montage mutet mitunter willkürlich an; einzige erkennbare Dramaturgie ist die Chronik der Ereignisse. Und weil Ditges, deren Fragen hinter der Kamera oft nur schwer zu verstehen sind, den Dokumentarfilm abgesehen von der gelegentlichen musikalischen Untermalung offenbar streng puristisch halten wollte, gibt es auch keine sogenannten Bauchbinden mit den Namen und Funktionen der Gesprächspartner. Die wichtigsten Protagonisten, etwa der Investor oder der Bürgermeister, kommen auch ohne solche Einblendungen aus, aber bei anderen Mitwirkenden, die offenbar ebenfalls offizielle Ämter bekleiden, machen sich die Leerstellen durchaus negativ bemerkbar. Lustigerweise stellt sich ausgerechnet der auch außerhalb Kölns bekannte Kölschrock-Sänger Brings als einziger selbst vor.
Auch wenn sich die Autorin um Objektivität bemüht hat: Die Mitglieder der Bürgerinitiative kommen nicht nur quantitativ besser weg. Der Investor tritt grundsätzlich im teuren Anzug und Krawatte auf, was ihn schon rein äußerlich vom bunten Völkchen der Einheimischen abhebt. Dass ihn Ditges dann noch zum Golfspiel begleitet hat, ist als Klischee schon beinahe ärgerlich. Viel zu kurz kommt auch eine andere Perspektive: Womöglich haben die Menschen mit ihrem Protest eine Chance für den Stadtteil vertan. Sehenswert ist der Film trotzdem: weil "Wem gehört die Stadt" der verbreiteten Spezies des Wutbürgers die aggressionsfreie Form des zivilen Ungehorsams gegenüberstellt. Auch wenn der Bezug des Kölners zu seinem "Veedel" angeblich ausgeprägter und spezieller ist als anderswo: Ehrenfeld ist überall.