Berlin (epd). Behinderte Menschen sollen mehr als bisher selbst bestimmen können, wie sie leben und wofür sie ihr Geld ausgeben. Das Bundeskabinett beschloss am Dienstag in Berlin den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes, mit dem von 2017 an die Eingliederungshilfe für Behinderte modernisiert wird. Den Behinderten- und Sozialverbänden geht die Reform nicht weit genug.
Mit Blick auf die Proteste sagte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nach der Kabinettssitzung, sie habe Verständnis für weitergehende Forderungen. Doch dürfe man die Reform nicht kleinreden. Sie leite einen "Systemwechsel" ein. "Mit dem Gesetz soll es niemandem schlechter gehen, aber vielen besser", sagte Nahles. Die Ausgaben für den Bund belaufen sich Nahles zufolge auf bis zu 700 Millionen Euro im Jahr.
Künftig mehr in der Tasche
Zu den wichtigsten Verbesserungen zählen neue Regeln für die Anrechung von Vermögen und Einkommen. In zwei Schritten werden die Vermögensfreibeträge auf 50.000 Euro erhöht. Bisher dürfen behinderte Menschen, die Eingliederungshilfe beziehen, nur 2.600 Euro sparen - und stehen damit schlechter da als Hartz-IV-Bezieher. Nahles sprach von einer "völlig veralteten und lebensfremden Regelung".
Auch die Anrechnung eigener Einkünfte auf die Eingliederungshilfe wird verbessert, so dass Berufstätige künftig mehr Geld in der Tasche haben werden. Das betrifft von den rund 700.000 Beziehern der Eingliederungshilfe etwa jeden Zehnten. Partner-Einkommen und Ersparnisse sollen ganz von der Anrechnung freigestellt werden. Bisher werden auch ihre Einkünfte herangezogen, so dass eine Ehe oder Lebenspartnerschaft mit einem behinderten Menschen finanziell mit massiven Nachteilen verbunden ist.
Der Entwurf enthält etliche weitere Änderungen etwa im Arbeitsleben oder bei Assistenzleistungen für Studenten sowie Erleichterungen bei der Beantragung von Leistungen. So können Arbeitgeber Lohnkostenzuschüsse von bis zu 75 Prozent des Arbeitsentgelts erhalten, wenn sie einen behinderten Menschen einstellen, um Alternativen zur Beschäftigung in den Behinderten-Werkstätten zu schaffen.
Assistenz teilen
Behinderten-Aktivisten warnten indes vor Verschlechterungen. Rund 20 Menschen im Rollstuhl ließen sich vor dem Berliner Hauptbahnhof in einen Käfig sperren, um symbolisch auf Einschränkungen hinzuweisen. Es könne passieren, dass Menschen mit Behinderung Ausgaben für die Hilfe in der eigenen Wohnung nur noch finanziert werde, wenn diese nicht teurer sind als im Heim, erklärte der Initiator Ottmar Miles-Paul.
Kritik entzündet sich auch an der geplanten Vorschrift zum Poolen von Leistungen. Danach müssen sich Behinderte etwa einen Fahrdienst oder Kinder einen Assistenz für den Schulbesuch teilen, wenn dies zumutbar ist.
Der Paritätische und der Sozialverband Deutschland forderten ebenso wie die Opposition im Bundestag Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren. Die Diakonie Deutschland verlangte eine Abkehr von allen Neuregelungen, die für die Betroffenen eine Verschlechterung darstellen.
Das Kabinett beschloss außerdem den überarbeiteten nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.