Akhtar Saleem und seine Familie haben alles verloren: Häuser, Arbeit, Freunde, ihr ganzes bisheriges Leben. Vor dreieinhalb Jahren musste die Familie bei Nacht und Nebel vor der Verfolgung und der Gewalt radikaler Muslime aus ihrer Heimatstadt Lahore in Pakistan nach Bangkok fliehen. Der Grund: der 67 Jahre alte Saleem, seine Frau, sein Sohn, seine Schwiegertochter, seine beiden Enkel sind Christen. Der zwei Jahre alte Enkelsohn Afrat wurde schon in Bangkok geboren.
Die anglikanische Familie war über einen längeren Zeitraum Ziel islamistischer Gewalt. "Sie haben mir einen Finger gebrochen. Meine Frau und mein Sohn wurden geschlagen", erzählt der Mann mit dem grauen Schnurrbart. "Sie haben uns vorgeworfen, Spione der USA zu sein. Sie sagten: ‚Die Amerikaner sind Christen und ihr seit Christen. Also werdet ihr von den USA bezahlt, um den Islam zu zerstören.’ Dann stellten sie uns ein Ultimatum: ‚Wenn ihr leben wollt, dann müsst ihr Muslime werden. Wenn nicht, bringen wir euch um. Ihr habt 24 Stunden.’"
Niemand konnte die Familie von Saleem vor den radikalen Muslimen schützen. Dreimal hat sie die Drohungen und die Gewalt bei der Polizei angezeigt. Vergeblich. "Muslimische Nachbarn haben uns geholfen, so gut sie konnten. Aber gegen ihre radikalen Glaubengenossen waren sie machtlos." Wegen dieser guten Erfahrung warnt Saleem trotz allem davor, alle Muslime über einen Kamm zu scheren. "Nicht alle Muslime sind gleich - so wie auch die fünf Finger einer Hand nicht gleich sind."
"Viele pakistanische Flüchtlinge kommen zu unseren Gottesdiensten"
Akhtar Saleem erzählt seine Leidensgeschichte beim Frühstück nach dem Gottesdienst in der anglikanischen Christ Church in der Konvent-Straße in Bangkok.
"Viele pakistanische Flüchtlinge kommen zu unseren Gottesdiensten", weiß Pastor Tim Eady. Der Engländer ist ebenso lange in Bangkok wie Akhtar. Aber anders als der Mann aus Pakistan lebt Eady legal, mit Arbeit und Einkommen in Thailand. "Viele Flüchtlinge bitten uns um Hilfe. Sie brauchen Geld, aber auch Sachspenden wie Lebensmittel. Aber wir können ihnen nichts geben. Uns fehlen die Mittel dazu", sagt Eady traurig.
Die Christ Church ist eine internationale Gemeinde für in Bangkok lebende Anglikaner aus 30 Nationen. Viele sind Flüchtlinge aus Sri Lanka, afrikanischen Ländern und eben aus Pakistan. Schätzungen gehen von derzeit mehr als 5000 christlichen Flüchtlingen aus Pakistan in Bangkok aus. Grund für die hohe Zahl: die Einreise als Tourist ist einfach. Nach Ablauf des Touristenvisums bleibt man einfach da.
Das Leben als illegaler Einwanderer aber ist kein Zuckerschlecken. "Thailand ist kein Unterzeichnerstaat der Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen", weiß Eady. Die Flüchtlinge seien vom Wohlwollen der Behörden abhängig. Die würden die Menschen zwar weitgehend in Ruhe lassen, aber auch ab und an durch Razzien und Verhaftungen zeigen, wer der Herr im Haus ist.
Bis zu fünf Jahre bis zur Anerkennung als Flüchtling
Die pakistanischen Asylbewerber wollen in die USA oder nach Europa. Zuvor aber müssen sie in einem bis zu fünf Jahre dauernden, bürokratischen Verfahren vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) als Flüchtlinge anerkannt werden. "Die meisten der Christen aus Pakistan kommen aus der wohlhabenden Mittelklasse. Sie haben Geld, aber das geht irgendwann zu Ende", sagt Eady und fügt hinzu: "Geld können sie hier nur durch Schwarzarbeit verdienen. Damit sind sie der Gefahr der Ausbeutung ausgesetzt."
Akhtar und seine Familie sind solche Mittelklassepakistanis. In Lahore arbeitete er in der Apotheke eines Krankenhauses. Gattin Jamila, 66, als auch Schwiegertochter Annum, 27, sind Lehrerinnen.
"Es gab mal eine Zeit ohne Religionskonflikte"
Die einzige Hilfe für die Flüchtlinge aus Pakistan kommt vom UNHCR, von ein paar privaten Organisationen sowie von einigen protestantischen und katholischen Kirchengemeinden mit einem internationalen Hintergrund. Christliche Thaigemeinden stehen den Flüchtlingen laut der Tageszeitung Bangkok Post "ablehnend" gegenüber.
Blutige Anschläge auf Christen wie jüngst in einem Park in Lahore, Zwangsverheiratungen junger Christinnen mit Muslimen, Schikanen im Alltag, sowie Anklagen wegen Blasphemie lassen immer mehr Christen aus Pakistan fliehen. "Es gab mal eine Zeit ohne Religionskonflikte", weiß Asher Kashif. Mit 34 Jahren ist der ehemalige Banker aber zu jung, um diese Zeiten vor dem Putsch von General Zia ul Haq im Jahr 1978 selbst erlebt zu haben.
Zur Sicherung der Macht hatte Zia ul Haq den Islam benutzt. Ein Pfeiler des von Zia ul Haq geschaffenen islamistischen Systems ist das Blasphemiegesetz, das die Schändung des Korans und des Ansehens des Propheten Mohammed verbietet. Auf Blasphemie steht die Todesstrafe. Auch Kritik an dem Blasphemiegesetz ist lebensgefährlich. Der muslimische Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, sowie der christliche Minister für Minderheiten, Shabhaz Bhatti, wurden vor fünf Jahren von radikalen Muslimen ermordet. Beide hatten sich für eine Reform des Gesetzes eingesetzt.
Geld verdienen mit Bibelzitat-Lesezeichen
Christen sind überproportional Opfer des Blasphemiegesetzes. "Nur 1,6 Prozent der Pakistaner sind Christen, aber 15 Prozent aller Blasphemiefälle betreffen Christen", sagt Phil Robertson, Repräsentant der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Bangkok. Asher Kashif klagt: "Der Extremismus in Pakistan hat alle Befürchtungen übertroffen. Die moderaten Muslime haben keinen Einfluss mehr."
Atif und Annum haben ihre Arbeit als Küchenhelfer in einer Kantine verloren. Für die fünf Jahre alte Tochter Aya heißt das: Schluss mit Schule. "Sie ging auf die englischsprachige philippinische Schule. Die kostet 2000 THB (50 Euro) im Monat", sagt Annum. "Von dem Geld, das wir noch haben, müssen wir Miete, Strom und Lebensmittel bezahlen." Annum und ihre Schwiegermutter Jamila bessern die Haushaltskasse durch den Verkauf von Lesezeichen aus Stoff zu 100 Baht (2,50 Euro) das Stück auf, die sie in Heimarbeit mit Bibelzitaten bestickt haben.
Für die Familie gibt es kein Zurück nach Pakistan. Große Sorgen macht sich Akhtar Saleem um seine Tochter, die noch in Pakistan lebt. Saleem weiß nur zu gut: "Es gibt keine Sicherheit für Christen in Pakistan."