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TV-Tipp: "Schwestern" (Einsfestival)
20.6., Einsfestival, 20.15 Uhr: "Schwestern"
Der Handlungskern des Films ist überschaubar: Die junge Kati ist ins Kloster gegangen, ihre Angehörigen sind gekommen, um an der festlichen Einkleidungszeremonie teilzunehmen. Da die Novizinnen jedoch auf sich warten lassen, verlässt die nach Jahren erstmals wieder versammelte Familie die Kirche, um sich beim Picknick mit Kuchen und Wein die Zeit zu vertreiben. Der Alkohol lockert die Zunge, und prompt werden alte Rechnungen und neue Vorwürfe ausgepackt.

Vor gut 35 Jahren hat Margarethe von Trotta in ihrem Frühwerk "Schwestern oder die Balance des Glücks" die fragilen Gleichgewichte zwischen Geschwistern beschrieben. Natürlich war sie nicht die erste, die sich mit der Ausgewogenheit von Stärken und Schwächen, von Dominanz und Unterwürfigkeit auseinandergesetzt hat; aber selten ist das Thema so konsequent zu Ende gedacht worden. Anne Wild knüpft mit ihrem Film "Schwestern" an diese Kräfteverteilung an, sorgt aber durch eine scheinbare Reduktion dafür, dass sich das narrative Spektrum der Ausgangslage ganz entscheidend erweitert: Eine der beiden vermeintlichen Hauptfiguren bleibt über weite Strecken ausgespart.

Der Handlungskern des Films ist überschaubar: Die junge Kati ist ins Kloster gegangen, ihre Angehörigen sind gekommen, um an der festlichen Einkleidungszeremonie teilzunehmen. Da die Novizinnen jedoch auf sich warten lassen, verlässt die nach Jahren erstmals wieder versammelte Familie die Kirche, um sich beim Picknick mit Kuchen und Wein die Zeit zu vertreiben. Der Alkohol lockert die Zunge, und prompt werden alte Rechnungen und neue Vorwürfe ausgepackt.

Charme vergleichbarer französischer Werke, die in der Provence spielen

Behandeln Filme oder Bücher religiöse Themen, wird regelmäßig die Gretchenfrage gestellt: weil es die tiefe Spiritualität einer Figur fast zwangsläufig mit sich bringt, dass die anderen darüber nachdenken, wie sie’s denn mit dem Glauben halten. Entsprechend ungewöhnlich, dramaturgisch aber umso reizvoller ist Wilds Idee, die angehende Ordensschwester außen vor zu lassen; immerhin ist sie ja gewissermaßen der spiritus rector der Geschichte. Als Kati-Darstellerin Marie Leuenberger dann endlich mitwirken darf, muss sie stumm bleiben, weil die Novizin ein Schweigegelübde abgelegt hat; eine darstellerisch dennoch ausgesprochen eindrucksvolle Szene. Das Reden übernimmt ohnehin Saskia (Maria Schrader), die am meisten am Entschluss ihrer jüngeren Schwester verzweifelt: weil Katis Selbstgewissheit ihr überdeutlich vor Augen führt, wie ziellos und unbefriedigend ihr eigenes Leben ist. Den restlichen Familienmitgliedern geht es nicht anders: In ihrer maßlosen Ichbezogenheit sind sie ausnahmslos auf die eine oder andere Art gescheitert, erst recht die selbstherrliche Mutter (Ursula Werner). Alle fragen sich, was sie falsch gemacht haben, weil sie Katis Schritt nicht nachvollziehen können. Das ändert sich, als sie nacheinander "lichte Momente" haben.

"Schwestern" ist nach "Mein erstes Wunder" (2002) und dem ZDF-Märchen "Hänsel und Gretel" (2005) überhaupt erst der dritte Langfilm von Anne Wild. Umso bemerkenswerter ist die Führung des Ensembles gelungen. Die auch bildlich sehr schön eingefangene flirrende Hochsommerstimmung (Kamera: Ali Gözkaya) erinnert zudem an den Charme vergleichbarer französischer Werke, die gern in der Provence spielen. Onkel Rolle zum Beispiel, vom Dänen Jesper Christensen als sympathischer Bonvivant mit Strohhut und junger Gespielin verkörpert, könnte direkt aus einem Film wie Louis Malles "Komödie im Mai" oder Jean Becker "Sommer auf dem Lande" stammen. Dank der speziellen Atmosphäre sowie einer sorgfältigen Mischung aus Ernsthaftigkeit und Ausgelassenheit hat es die Regisseurin geschickt vermieden, die Familiengeschichte dem reichlich schweren Thema zum Trotz als Drama zu erzählen.