Berlin (epd). Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan für dessen Äußerungen nach der Armenien-Resolution des deutschen Parlaments scharf kritisiert. "Die Verdächtigung von Mitgliedern dieses Parlaments als Sprachrohr von Terroristen weise ich in aller Form zurück", sagte Lammert im Namen aller Fraktionen am Donnerstag unter großem Applaus im Bundestag in Berlin. Die Linken zogen daraufhin ihren Antrag auf eine Aktuelle Stunde zu dem Thema zurück.
Erdogan hatte einige Bundestagsabgeordnete türkischer Abstammung in die Nähe der kurdischen Terrororganisation PKK gerückt, nachdem der Bundestag vergangene Woche in einer Resolution die Tötung von 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als Völkermord eingestuft hatte. Auch zog Erdogan die türkischen Wurzeln einiger deutscher Parlamentarier in Zweifel und verlangte von ihnen, ihr Blut in Labortests untersuchen zu lassen.
Lammert sagte, dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident sich so äußern würde, habe er nicht für möglich gehalten. Einige türkische Organisationen in Deutschland hätten diese Aussagen bereits "zurecht als abscheulich und absolut deplatziert" bezeichnet. Er wünsche sich von weiteren teilweise sehr großen türkischen Organisationen, die bislang geschwiegen hätten, ähnlich klare Stellungnahmen, sagte der CDU-Politiker.
Lammert: Wer einzelne Abgeordnete bedroht, greift das ganze Parlament an
Zudem wandte sich der Bundestagspräsident entschieden gegen zum Teil hasserfüllte Schmähungen bis hin zu Morddrohungen gegen einzelne Bundestagsabgeordnete, die auch durch hochrangige türkische Politiker befeuert worden seien: "Jeder, der durch Drohungen Druck auf einzelne Abgeordnete auszuüben versucht, muss wissen, er greift das ganze Parlament an", sagte Lammert und betonte: "Ich bekräftige unsere selbstverständliche Solidarität mit allen Kolleginnen und Kollegen, die im Zusammenhang mit ihrer politischen Tätigkeit bedroht und unter Druck gesetzt werden."
Aufgrund von Lammerts Rede im Einvernehmen mit allen Fraktionsvorsitzenden hielten die Linken im Bundestag eine von ihnen beantragte Aktuelle Stunde für überflüssig. Ein Sprecher der Linken erklärte, es sei der Fraktion wichtig gewesen, dass sich der Bundestag mit dem Thema beschäftige. "Lammerts Rede konnte man so werten, dass alle Fraktionen das verurteilen", sagte der Sprecher.
Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), verlangte deutliche Worte gegen die Attacken von Erdogan, mahnte aber, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. Sie verurteile die Drohungen gegen Bundestagsabgeordnete, sagte Kofler. Niemandem stehe zu, jemand anderen mit dem Tod zu drohen, weil er seine politische Meinung äußert.