Berlin (epd). In den kommenden Jahren könnten durch den Familiennachzug Hunderttausende Syrer nach Deutschland kommen. Einen entsprechenden Bericht der "Süddeutschen Zeitung" bestätigte das Bundesinnenministerium am Mittwoch. Ein Sprecher sagte in Berlin, die internen Prognosen aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gingen davon aus, dass für jeden Syrer in Deutschland mit einem weiteren Angehörigen zu rechnen sei.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach von einer "besorgniserregenden" Prognose, für die eine falsche Entscheidungspraxis des Bundesamtes verantwortlich sei. Die Organisation Pro Asyl beklagte hingegen, dass immer mehr Syrern der Familiennachzug verweigert werde.
Auswärtiges Amt: Nachzug könnte geringer sein
Der Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, aktuelle Berechnungen des Bundesamts aus dem Mai kämen zu demselben Ergebnis wie das Papier vom November vergangenen Jahres, aus dem die "Süddeutsche Zeitung" (Mittwochsausgabe) zitiert hatte. Danach rechne man damit, dass - statistisch gesehen - jeder Flüchtling 0,9 bis 1,2 Personen nachhole. Anerkannte Flüchtlinge dürfen Ehepartner und minderjährige Kinder nachholen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge können einen Antrag für ihre Eltern stellen.
Während das Bundesamt seine Prognose aufgrund der Daten aus den Bundesländern berechnet, kommt das Auswärtige Amt aufgrund der Anträge auf Familiennachzug an den Botschaften zu den Ergebnis, dass der Nachzug auch geringer ausfallen könnte. Ein Sprecher sagte, der Faktor pro Flüchtling könne auch unter 0,9 liegen.
Lange Wartezeiten
Die Prognosen beziehen sich allein auf syrische Flüchtlinge. Laut der Ankunftsstatistik des Bundesamts kamen im vorigen Jahr 428.000 Syrer in Deutschland an. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres waren es 72.000 Menschen. Aus den Zahlen über die tatsächlichen Familiennachzüge für 2015 ist indes nicht ersichtlich, wie die Entwicklung weitergehen wird. Nach Angaben des Innenministeriums reisten im vorigen Jahr 16.000 syrische Familiengehörige ein - bei 82.000 Nachzügen insgesamt. An den Botschaften, etwa in Beirut, kann es Monate dauern, bis ein Antrag auf Familiennachzug gestellt werden kann. Lang sind auch die Wartezeiten bis zur Bewilligung.
In die Prognosen hat das Bundesamt für Migration bisher auch nicht einbeziehen können, wie sich die Änderungen im Asylrecht auswirken, wonach Flüchtlinge mit lediglich subsidiärem Schutz zwei Jahre lang keine Familienangehörigen nachholen dürfen.
Streit über Einstufung
Bayerns Innenminister Herrmann kritisierte, es würden immer noch zu viele Syrer als politische Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Deshalb seien die prognostizierten Zahlen auf eine "falsche Entscheidungspraxis" der Behörde zurückzuführen. Wer vor den Auswirkungen eines Bürgerkriegs fliehe, habe lediglich Recht auf subsidiären Schutz, der zunächst keinen Familiennachzug vorsehe. Er werde die Praxis des Bundesamtes bei der bevorstehenden Innenministerkonferenz ansprechen.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl beklagte hingegen, dass der subsidiäre Schutz immer mehr Syrer treffe. Hätten im April nur 9,3 Prozent einen solchen Status erhalten, seien es im Mai bereits mehr als 15 Prozent gewesen. Dies sei mit der dramatischen Situation in dem Land nicht in Einklang zu bringen. Den Syrern gebühre der volle Flüchtlingsschutz, so Pro Asyl.