Berlin (epd). Behinderte Menschen würden nicht länger wie Bittsteller behandelt, sondern hätten Ansprüche, mit denen auch gewürdigt werde, was sie etwa aufgrund einer eigenen Berufstätigkeit leisten, sagte Merkel am Donnerstag nach Einigung der Koalition auf einen Gesetzentwurf. Die Opposition, die Kommunen und mehre Sozialverbände pochen aber auf Verbesserungen.
Kommunen mahnen Entlastung an
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte nach der Sitzung des Koalitionsausschusses am Mittwochabend die Einigung von Union und SPD verkündet. Das neue Bundesteilhabegesetz solle noch im Juni vom Kabinett beschlossen und im kommenden Jahr wirksam werden. Sie erneuerte die Zusage, die Kommunen würden um fünf Milliarden Euro entlastet. Nach Ansicht der Kommunen werden die Ausgaben nun aber höher ausfallen.
Der Entwurf von Nahles sieht vor, dass behinderte Berufstätige künftig 260 Euro mehr von ihrem Einkommen behalten und Ersparnisse bilden können. Bisher werden die Einkünfte größtenteils auf die Eingliederungshilfe angerechnet. Die Grenze für Ersparnisse liegt bei 2.600 Euro, womit behinderte Menschen schlechter dastehen als Hartz-IV-Empfänger, selbst wenn sie arbeiten. Der Freibetrag für Ersparnisse soll dem Gesetzentwurf zufolge 2017 auf 25.000 Euro und 2020 auf 50.000 Euro angehoben werden.
Die Eingliederungshilfe, mit der Hilfen im Alltag und teilweise auch die Unterbringung und Arbeit in Behinderteneinrichtungen finanziert werden, ist eine Sozialleistung, weshalb eigene Einkünfte auf sie angerechnet werden müssen. Mit dem Bundesteilhabegesetz soll sie künftig als Hilfe zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gewährt werden und die Selbstständigkeit der behinderten Menschen fördern.
Der Deutsche Landkreistag erklärte, die Einigung in der Koalition bedeute eine weitere Erhöhung der ohnehin jährlich steigenden Ausgaben für die Eingliederungshilfe. Dies sei aus Sicht der Kostenträger enttäuschend. Hauptgeschäftsführer Hans-Günter Henneke mahnte eine versprochene Entlastung der Kommunen um fünf Milliarden Euro an. Gegenwärtig lägen die Ausgaben bei rund 15 Milliarden Euro im Jahr, sie stiegen aber jedes Jahr um eine Milliarde Euro.
Proteste von Behindertenverbänden
Der Referentenentwurf stieß auch auf Proteste bei den Behindertenverbänden. Sie warnten Union und SPD vor einer Bauchlandung. "Wir behinderte Menschen werden es auf keinen Fall widerstandslos zulassen, dass ein Spargesetz auf den Weg gebracht wird, dass das selbstbestimmte Leben behinderter Menschen zum Teil massiv erschwert", erklärte Ottmar Miles-Paul, Koordinator der von mehreren Behindertenverbänden getragenen Kampagne für ein gutes Bundesteilhabegesetz.
Die evangelische Diakonie begrüßte die Einigung der Koalition, regte aber weitere Verbesserungen an. Die Neuregelungen, die Behinderten ein eigenständigeres Leben ermöglichen sollen, seien "für die große Mehrzahl der betroffenen Menschen eine große Erleichterung", sagte Diakoniepräsident Ulrich Lilie dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Diakoniechef räumte ein, dass das neue Gesetz für viele Menschen mit erheblicher Behinderung zu weniger Selbstbestimmung führe. Viele Leistungen würden nur über Pauschalbeträge finanziert. Das setze für diesen Personenkreis enge Grenzen bei der gewünschten Individualisierung des Lebens.
Kritik am Gesetzentwurf kam auch von der Linken: "Es handelt sich um ein Spargesetz. Das erklärte Ziel ist die Senkung der Ausgabendynamik", sagte die behindertenpolitische Sprecherin der Fraktion, Katrin Werner.