Schon der Einstieg in diesen Film ist ein optischer und akustischer Genuss. Die kühlen Bilder (Kamera: Ngo The Chau) und die elektronische Musik (Wolfram de Marco) sorgen für perfekte Thriller-Atmosphäre. Dazu passt auch die Einführung der Heldin, die zunächst alles andere als sympathisch rüberkommt: Elena Wagner (Julia Koschitz) ist eine ungeheuer erfolgreiche, aber auch sehr kühle Investment-Bankerin, die drauf und dran ist, in die Führungsspitze des Bankhauses befördert zu werden. Als sie auf Unregelmäßigkeiten stößt und vom Chef (August Zirner) abgewimmelt wird, gibt es mit Marc (Jürgen Vogel), dem früheren Leiter der EDV des Unternehmens, nur noch einen Menschen, dem sie sich anvertrauen kann. Allerdings ist Marc ein Querdenker, dem die Praktiken in der Finanzwelt ein Gräuel sind; er wurde gefeuert und hat Hausverbot. Dass die beiden ein Paar waren, bis Elena die Beziehung ihrer Karriere geopfert hat, macht die Sache nicht leichter. Gemeinsam kommen sie einem Komplott gegen Elena auf die Spur: Der Kredit für einen zwielichtigen chinesischen Konzern wird das Bankhaus in die Pleite treiben; und Elena soll dem Raubtierkapitalismus als Sündenbock geopfert werden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Vertraue mir" ist ein Thriller, aber es sind vor allem Bildgestaltung und Musik, die für die Spannung sorgen, zumal sich die Geschichte nach der Einführung zum Zwei-Personen- Kammerspiel wandelt. Dabei gelingt Franziska Meletzky das Kunststück, eine im Grunde harmlose Konstellation ungeheuer fesselnd umzusetzen: Marc arbeitet sich durch die Untiefen des Datensystems, Elena schaut zu. Ganz kurze, im Kontrast zu den blauschwarzen Nachtaufnahmen in warmen Tönen gehaltene Rückblenden sorgen dafür, dass beiläufig die Beziehung der beiden nachgereicht wird; im Verlauf der gemeinsamen Aktion erkennt Elena, dass es ein großer Fehler war, sich (per SMS!) von Marc zu trennen, und so wird der Film mehr und mehr zur Romanze, ohne jedoch den Thriller-Anspruch aufzugeben. Neben der Beziehungsebene und der Entdeckung des Komplotts sorgt Meletzky auch ganz vordergründig für Nervenkitzel, denn ein Nachtwächter (Sascha Alexander Gersak) nimmt seinen Job ernst und entdeckt, dass in der vierzigsten Etage des Hochhauses irgendwas vor sich geht. Eine weitere Spannungsebene vollzieht sich in erster Linie im Kopf des Zuschauers: Man ahnt, dass es einen doppelten Boden geben muss. Tatsächlich sorgt das Drehbuch (Meletzky und John-Hendrik Karsten, nach einer Vorlage von Guy Meredith) schließlich noch für einen Knüller, der die Geschichte zur Tragödie werden lässt; und das nicht nur, weil das Fünf-Mark-Stück zwischenzeitlich den Besitzer gewechselt hat.
Regisseurin Meletzky muss sich nirgendwo mehr etablieren, sie hat allein in den letzten fünf Jahren vom Drama "Es ist nicht vorbei" über den Doppel-"Tatort" aus Hannover ("Wegwerfmädchen"/"Das goldene Band") und die "Tatort"-Komödie "Die fette Hoppe" bis zum im März ausgestrahlten Gen-Defekt-Drama "Nur eine Handvoll Leben" lauter herausragende Filme in völlig unterschiedlichen Genres gedreht. Mit "Vertraue mir" beweist sie, dass sie auch aus wenig Geschichte viel Spannung schöpfen kann. Außerdem räumt sie mit dem Vorurteil auf, Thriller seien Männersache, zumal sie immer wieder mit beredten Bildern arbeitet: Bei der nächtlichen Zweisamkeit wirken die glitzernden Türme in der Nachbarschaft noch wie eine Sehenswürdigkeit, später werden sie als Bedrohung inszeniert. Elenas Boss hingegen wird dank der Froschperspektive schon beim ersten Auftritt als ebenso mächtiger wie arroganter Antagonist der Heldin eingeführt. Während des Prologs fliegt ein Flugzeug in Richtung Wolkenkratzer, was prompt an die Anschläge auf das New Yorker World Trade Center erinnert. Die Assoziation wird noch verstärkt durch das Bild des kurz drauf in die Tiefe stürzenden Körpers. Die Einstellung ähnelt frappierend dem Foto vom "Falling Man"; beides wird kein Zufall sein.