Auch Autorin Dagmar Gabler gelingt es nicht, das Privatleben von Hauptkommissarin Nina Rubin (Meret Becker) schlüssig in die Krimihandlung zu integrieren; die Trennung vom Vater ihres Sohnes und die Vorbereitung des Jungen auf seine Bar Mitzwa bleiben ein Nebenstrang, der mitunter sogar lästig wird, weil er vom eigentlichen Fall ablenkt.
Gleiches gilt für die horizontal erzählte Ebene. Anders als beispielsweise in den ganz ähnlich konzipierten ersten Krimis mit dem "Polizeiruf"-Team aus Rostock (Charly Hübner, Anneke Kim Sarnau) oder dem "Tatort"-Quartett aus Dortmund rund um Jörg Hartmann sind die Ermittlungen von Hauptkommissar Robert Karow (Mark Waschke) in eigener Sache nie schlüssiger Teil der Gesamtgeschichte. Die bisherigen Ereignisse werden zwar zu Beginn in einigen Schwarzweißbildern zusammengefasst, aber diese Erinnerung ist keine Hilfe, wenn man die ersten beiden Episoden ("Das Muli", "Ätzend") nicht gesehen hat. Zu Beginn des Films wird Karow, der zuletzt unter Mordverdacht stand, ohnehin entlassen, die Tatwaffe ist ihm untergeschoben worden.
Dafür ist der Einstieg in die eigentliche Handlung umso schockierender, zumal Fischer den Vorfall ungeschönt in Szene setzt. In der Tiefgarage eines Einkaufszentrums wird eine Frau mit voller Absicht getötet: Erst zerquetscht ein Fahrzeug ihr die Beine, dann wird sie überfahren. Die Bilder sind brutal und gehen an die Nieren; wer’s beim Sonntagkrimi lieber heiter (Münster) oder beschaulich (Konstanz) mag, wird sich mit Grausen abwenden. Auch eine für Sendeplatz und Sendezeit ungewöhnlich explizite Männersexszene wird konservative Teile des Publikums nicht kalt lassen.
Fesselnd und sehenswert
Ermittlerisch ist "Wir - Ihr - Sie" jedoch fesselnd, und auch die Umsetzung ist dank einer sorgfältig unterkühlten Bildgestaltung (Konstantin Kröning) und einer interessanten Musik (Fabian Römer) jederzeit sehenswert. Zunächst schildern Gabler und Fischer die übliche Kleinarbeit des Fernsehkrimis: Funkzellen- und W-Lan-Auswertung, Überwachungskameras, Befragung von Angehörigen und Zeugen. Das Opfer war eine verheiratete Frau, das Tatfahrzeug der Jeep einer früheren Freundin (Valerie Koch), die quasi im gleichen Haus wohnt, allerdings nach hinten raus und somit eher auf der Schattenseite. Nach den üblichen Ermittlungssackgassen fokussieren sich Kripo und Film schließlich auf das Mädchentrio Louisa (Cosima Henman), Charlotte (Valeria Eisenbart) und Paula (Emma Drogunova). Die drei waren zur Tatzeit im Einkaufszentrum, sie kannten das Opfer und sein Auto, und keine der Kameras zeigt, wie sie das Gebäude verlassen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Geschichten über solche Clubs junger Teuflinnen gibt es gerade im Reihenkrimi regelmäßig. Bei der Zeichnung drei 16-Jährigen zieht Gabler alle Register des düsteren Jugenddramas: das vom Anwalts-Papa (Thomas Heinze) verwöhnte Mäuschen aus gutem Hause, der zornige Teenager mit Plattenbau-Slang, das Mädchen aus dem bürgerlichen Milieu, das auf die schiefe Bahn abzurutschen droht. Weil die jungen Darstellerinnen ihre Sache recht gut machen, fallen die Klischees nicht weiter ins Gewicht, selbst wenn Emma Drogunova als Paula gelegentlich zur Karikatur zu werden droht, aber sie spielt das ziemlich gut; und die Vorbilder aus der Wirklichkeit bewegen sich ja ebenfalls oft am Rand der Lächerlichkeit. Ein Manko gibt es doch, aber das ist nicht den jungen Frauen, sondern der Regie anzulasten: Wenn sich die Mädchen per Chat austauschen, müssen sie ihre geschriebenen Sätze laut vorlesen, und da haben sie deutliche Schwächen; so etwas ließe sich auch eleganter lösen. Zum Ausgleich gibt es eine verblüffende Szene mit Paula und Karow, in der ein gekauter Kaugummi den Besitzer wechselt. Der Kommissar bleibt ohnehin eine gleichermaßen faszinierende wie auch polarisierende die Figur: Waschke verkörpert den Kommissar zwar nach dem Motto "Schwul ist cool", bemüht sich ansonsten aber für einen Hauptdarsteller erstaunlich wenig darum, den Mann auch sympathisch zu gestalten.