Berlin (epd). "Meilenstein", "Paradigmenwechsel", "entscheidende Zäsur": Nach dem Kabinettsbeschluss zum Integrationsgesetz verfiel die Bundesregierung am Mittwoch in Superlative. Erstmals wird die Eingliederung von Ausländern in Deutschland mit konkreten Gesetzesmaßnahmen flankiert. Es soll das Prinzip "Fördern und Fordern" gelten. Für das Angebot an Kursen und Jobs sollen Flüchtlinge auch Integrationspflichten erfüllen. Bei der Integration solle aus Fehlern der Vergangenheit gelernt werden, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Klausur des Kabinetts in Meseberg, wo das Gesetz auf den Weg gebracht wurde. Jetzt muss der Bundestag darüber beraten.
Das Gesetz sieht unter anderem ein Arbeitsmarktprogramm mit 100.000 Ein-Euro-Jobs vor. Zudem sollen mehr Flüchtlinge früher in Integrationskursen Deutsch lernen können. Zu beiden Maßnahmen können Flüchtlinge künftig auch verpflichtet werden. Kommen sie dem nicht nach, drohen Leistungskürzungen bis auf das unmittelbar zum Leben Notwendige in Form von Sachleistungen.
Wohnsitzzuweisung soll Ghettobildungen verhindern
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte bei der Vorstellung des Gesetzes in Berlin, der beste Weg zur Integration sei Arbeit, der beste Weg zur Arbeit gehe über das Erlernen der deutschen Sprache und Ausbildung. Das Gesetz sieht bei der Ausbildung wesentliche Erleichterungen vor, die auch die Wirtschaft gefordert hatte: Die Altersgrenze wird abgeschafft, Förderungen soll es künftig auch für Flüchtlinge geben und es wird ein sicherer Aufenthalt für die Dauer der Ausbildung versprochen.
Mit einer Wohnsitzzuweisung will die Politik auch anerkannten Flüchtlingen ohne Arbeit, Ausbildungs- oder Studiumsplatz den Wohnort vorschreiben oder bestimmte Orte verbieten, um Ghettobildungen vor allem in den Großstädten zu vermeiden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, er wolle keine Parallelgesellschaften. Das Integrationsgesetz sieht er als "ganz wesentlichen Schritt" zu gesellschaftlichem Zusammenhalt. Er betonte, es würden keine Familien auseinandergerissen. Zudem soll es bei der Wohnsitzauflage Härtefallregelungen geben.
Die Angebote im Integrationsgesetz richten sich nur an Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive, also nicht an Asylbewerber aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Laut einer in Meseberg verabschiedeten Erklärung der Koalition soll es für Asylsuchende ohne gute Bleibeperspektive ein "Orientierungsangebot" geben. In der zweiten Jahreshälfte soll ein Pilotprojekt geschaffen werden.
Kritik von der Opposition
Die Bundesregierung will außerdem prüfen, ob es angesichts gehäufter Übergriffe neue gesetzliche Regelungen zum Schutz von Frauen und Kindern in Flüchtlingseinrichtungen geben muss. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) soll mit den Ländern darüber beraten, ob entsprechende Regeln für Träger von Einrichtungen von Bund oder den Ländern erlassen werden.
Über die Eckpunkte des Integrationsgesetzes hatten sich Union und SPD bereits am 13. April verständigt. Eine Änderung gab es bei der Verschärfung der Regelung zum Daueraufenthaltsrecht für Flüchtlinge, die für Kritik gesorgt hatte. Es bleibt zwar dabei, dass Flüchtlinge nicht mehr automatisch nach drei Jahren, sondern erst nach fünf Jahren unter bestimmten Voraussetzungen ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen sollen. Für sie gelten aber geringere Hürden als für Ausländer, die zur Arbeit nach Deutschland kommen. Bei besonders guten Deutschkenntnissen kann die sogenannte Niederlassungserlaubnis dem Gesetzentwurf zufolge auch künftig bereits nach drei Jahren erteilt werden.
Bei der Opposition sorgen Regelungen wie diese für Kritik. Flüchtlinge seien in einer anderen Situation als andere Migranten, erklärten die Bundestagsabgeordneten Volker Beck und Brigitte Pothmer. Sie sehen im Gesetzespaket "Klein-Klein" anstelle eines großen Wurfes. Die Linke warf der Koalition vor, mit den Integrationspflichten zu unterstellen, Flüchtlinge wollten sich nicht integrieren. Auch Verbände wie Pro Asyl und die Kirchen hatten zuvor vor Verschärfungen im Asylrecht gewarnt. Begrüßt wurde das Gesetz dagegen vom Deutschen Städtetag, der sich unter anderem von der Wohnsitzzuweisung eine Entlastung bestimmter Städte verspricht.