Brüssel/Berlin (epd). Ob das umstrittene Pflanzengift Glyphosat über Juni hinaus in Europa erlaubt bleibt, ist offen. Der zuständige EU-Ausschuss stimmte bei seiner Sitzung am Mittwoch in Brüssel vorerst nicht über die Frage ab, hieß es aus Diplomatenkreisen. "Es ist noch nicht klar, ob es eine qualifizierte Mehrheit dafür gibt", sagte ein Diplomat dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Ausschuss mit Vertretern der EU-Kommission und der 28 Mitgliedstaaten soll schon am Donnerstag weiter tagen. Dann werde die EU-Kommission "noch einmal testen, ob sich etwas bewegt hat, und eventuell abstimmen lassen."
Sigmar Gabriel gegen Neuzulassung
Die EU-Kommission führt in dem Gremium den Vorsitz. Sie ist für die Wiederzulassung von Glyphosat. Für die Entscheidung ist sie aber angewiesen auf die Vertreter der europäischen Regierungen, darunter den Vertreter der Bundesregierung.
Die Bundesregierung hatte sich am Mittwochmittag allerdings weiter uneins gezeigt. Die bisherigen Gespräche zwischen den Ministerien hätten noch zu keiner gemeinsamen Haltung geführt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Führende Unionspolitiker, darunter Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), sind für die Zulassung. Die SPD mit Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel an der Spitze stellten sich dagegen. Ohne Einigung wollte sich die Regierung bei einer Abstimmung in Brüssel enthalten. Auch in anderen Regierungen liefen noch Gespräche, wie die Vertreter in Brüssel abstimmen sollten, verlautete aus Diplomatenkreisen.
Unterdessen hat sich Druck auf die Bundesregierung, gegen die Neuzulassung zu stimmen, noch einmal erhöht. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland übergab am Mittwoch in Berlin nach eigenen Angaben 145.000 Unterschriften gegen Glyphosat an das Bundeslandwirtschaftsministerium.
Greenpeace rief zu "starken Beschränkungen" der Nutzung von Glyphosat oder einem "vollständigen Verbot" auf. Die Laufzeit einer Wiederzulassung lediglich zu verkürzen, schütze Menschen und die Umwelt nicht, erklärten die Umweltschützer. Der Grünen-Politiker Martin Häusling verlangte von der EU-Kommission, das Vorsorgeprinzip greifen zu lassen. "Bleibt die Kommission stur, sehe ich darin einen Kniefall vor der Lobby der Agrarindustrie", erklärte der Europaabgeordnete.
Wirtschaft gegen Bevölkerung
Für eine gemäßigtere Position warb der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. Das Mittel könne nicht einfach verboten werden, denn "wir können nicht ganz Europa zum 30. 6. auf Bioanbau umstellen. Auf der anderen Seite ist Glyphosat sicher nicht so unproblematisch wie es manche darstellen", erklärte der Politiker und Mediziner. Daher sollten "europaweit sehr viel strengere Auflagen als bisher eingeführt werden".
Der ökologische Anbauverband Biokreis zog eine Parallele zum Streit um das Freihandelsabkommen TTIP. "Wie bei den TTIP-Verhandlungen stehen die Interessen mächtiger Wirtschaftsverbände gegen die der Bevölkerung. Neben der Lebensmittelsicherheit steht viel Geld auf dem Spiel und Geheimhaltung ist an der Tagesordnung."
Der Wirkstoff Glyphosat wird rund um die Welt eingesetzt. Die Internationale Agentur für Krebsforschung stufte das Mittel 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" ein. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation eine Untersuchung mit anderslautendem Ergebnis. In geringen Mengen soll das Pestizid demnach keine Gesundheitsgefahr darstellen.