Brüssel (epd) Kurz vor der möglicherweise entscheidenden Sitzung der EU zur Neuzulassung des umstrittenene Pflanzengifts Glyphosat ist die Position der Bundesregierung weiter offen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte am Dienstag in Brüssel, er sei gegen eine Neuzulassung, solange eine Krebsgefahr nicht ausgeschlossen sei. Das gelte auch nach dem neuen WHO-Befund vom Montag.
Qualifizierte Mehrheit nötig
Die Koalition streitet, ob sie auf EU-Ebene der Neuzulassung des Mittels zustimmen soll. Während die Union dafür ist, hat die SPD Bedenken. Am Mittwoch oder Donnerstag soll in Brüssel bei einer Sitzung von Vertretern der 28 EU-Staaten und der EU-Kommission über die Neuzulassung beraten werden. Ob dabei auch schon eine Entscheidung fällt, war am Dienstag offen. Es ist Sache der EU-Kommission, den Punkt zur Entscheidung zur stellen. Die Kommission wollte bisher eine Neuzulassung. Dafür benötigt sie aber eine sogenannte qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten. Deutschland als großer Mitgliedstaat könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Am Montag schien ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Bewegung in die Angelegenheit zu bringen. Es sei "unwahrscheinlich", dass das Pflanzengift ein Krebsrisiko für den Menschen darstellt, hieß es in einer in Genf veröffentlichten Stellungnahme der WHO und der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO. Eine Expertengruppe von WHO und FAO hatte verschiedene Studien ausgewertet.
Das Gremium bezog sich in seinem Urteil auf Rückstandsmengen, die Menschen üblicherweise mit der Nahrung aufnehmen können. Andererseits schloss auch die WHO-FAO-Expertengruppe ein Krebsrisiko in Tierversuchen nicht völlig aus. Sie kam etwa zu dem Schluss, "dass Glyphosat bei Ratten nicht krebserregend ist, konnte aber die Möglichkeit nicht ausschließen, dass es in sehr hohen Dosen bei Mäusen krebserregend ist", erklärte die Gruppe in Genf.
Bedenken ausräumen
Vor diesem Hintergrund äußerte Gabriel in Brüssel, auch die neue Studie habe offenbar "Zweifel" an der Unbedenklichkeit des Mittels. "Jedenfalls niemand sagt, dass absolut sicher sei, dass es nicht krebserregend ist. Und ich finde Safety first, Gesundheit first. Und ich bin dagegen, dieses Produkt solange sozusagen überhaupt zuzulassen, solange diese Zweifel nicht ausgeräumt sind." Auch ein Sprecher des von Barbara Hendricks (SPD) geführten Umweltministeriums zeigte sich zurückhaltend, ob der WHO-Befund die Bedenken ausräumen könne. "Wir müssen die Stellungnahme analysieren", sagte er.
Rückenwind erhielten die SPD-Politiker vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Organisation will am Mittwoch in Berlin Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) mehr als 100.000 Unterschriften gegen die Neuzulassung übergeben.
Schmidt ist für die Neuzulassung. Angesichts des Streits bekräftigte er am Dienstag, dass es "längst" eine mit dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium abgestimmte Position mit dem Ziel einer Zulassung gegeben habe. "Hier geht es grundsätzlich um die Frage, dass wir uns gezielt über das gesetzliche Verfahren hinwegsetzen, auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entscheiden. Nach der wissenschaftlichen Bewertung aller zuständigen Behörden in der EU kann der Wirkstoff genehmigt werden. Alles andere wäre Politik nach Beliebigkeit", erklärte Schmidt.
Glyphosat ist das am weitesten verbreitete Pestizid, es wird in Landwirtschaft, Industrie und Haushalten eingesetzt.