Anspruchsvolle Filmgespräche klingen allerdings leicht nach Literatur. Bei Stefan Rogall dagegen sind die Dialoge meist pointiert und ausgefeilt, wirken aber trotzdem nicht wie Bühnentexte; erst recht, wenn er sie jemandem wie Leonard Lansink in den Mund legen darf. Nach einigen "Wilsberg"-Krimis und der Grantler-Komödie "Der Stinkstiefel" hat sich Rogall für den ZDF-Star eine ganz andere Rolle ausgedacht: Lansink spielt den korrekten Berliner Versicherungsangestellten Paul Schneider, der nicht länger hinnehmen will, dass sein Arbeitgeber die kleinen Leute betrügt. Prompt nutzt sein Chef die nächstbeste Gelegenheit, um den Querulanten loszuwerden. Ausgerecht in dem ebenfalls gefeuerten Banksachbearbeiter (Sönke Möhring), der ihn einst mit einer windigen Anlageberatung in die Pleite getrieben hat und ihm nun keinen Kredit geben darf, findet Schneider einen Bruder im Geiste, und so nutzen sie gemeinsam mit der extravaganten Anwältin Aylin (Senna Gammour) eine Wohltätigkeitsveranstaltung, um die miesen Geschäfte sowohl der Versicherung wie auch der Bank zu entlarven.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Hauptfigur ist eine tolle Rolle, zumal sie Lansink die Möglichkeit gibt, andere Facetten zu zeigen. Wilsberg sagt ja meist nur das Nötigste; der Privatdetektiv steht zwar für bestimmte moralische und humanistische Werte, aber er redet nicht viel darüber. Schneider hingegen ist machtlos, weil er sich an die Vorgaben seines Arbeitgebers halten muss, weshalb ihm nichts anderes übrig bleibt, als seine Klienten zu vertrösten. Sein Unmut führt regelmäßig zu sarkastischen Kurzvorträgen; ein Fest für jeden Schauspieler. Bei den biografischen Details begnügt sich das Drehbuch hingegen mit beiläufig eingestreuten Informationen: Schneiders Frau (Angela Roy) hat ihn verlassen, weil er immer nur lamentiert, aber nichts ändert. Seither lebt er inmitten nicht ausgepackter Umzugskartons in einer trostlosen Neuköllner Wohnblocksiedlung. Einziger sozialer Kontakt außerhalb der Arbeit ist ein exilrussischer Nachbar (Aleksandar Jovanovic), der mit seinen unkonventionellen Ratschlägen keine große Hilfe bei Schneiders Alltagsärger ist, und in dieser Hinsicht hat sich eine ganze Menge angesammelt: Weil sein Auto kaputt ist, muss er mit der S-Bahn in die Stadt. Da der Fahrkartenautomat außer Betrieb ist, fährt er zwangsläufig schwarz und wird prompt erwischt; jeden Morgen. Die Werkstatt will 12.000 Euro für die Reparatur seines museumsreifen Cabrios, die Bank gewährt ihm keinen Kredit, sein Kollege Klostermann (Martin Brambach) lässt keine Gelegenheit verstreichen, gegen ihn zu intrigieren, und als er dann noch von einem prolligen jungen Versicherungskunden namens Kevin blöd angemacht wird, platzt ihm der Kragen.
Da Rogall seinem Helden einige Exkurse gönnt, ist die Geschichte sehr handlungsreich, auch wenn die meisten Abstecher nur bedingt sachdienlich sind; der Besuch bei Kevins Eltern ist wenigstens witzig, weil das Gespräch dank Aylins Engagement in eine unflätige gegenseitige Beschimpfung mündet. Umso bedauerlicher, dass nicht alle Mitwirkenden auf demselben Niveau wie Lansink agieren. Sängerin Senna Gammmour (Monrose) zum Beispiel zeigt bei ihrem Debüt als Darstellerin hörbare Dialogschwächen. Interessant ist immerhin ihr großzügiges Büro, das an ein orientalisches Serail erinnert. Der Blickfang darin ist dennoch die junge Tosca. Deren attraktive Darstellerin Maja-Céline Probst erinnert ein bisschen an Emilia Schüle, hat Erfahrungen als Kinderdarstellerin in der ZDF-Serie "Ihr Auftrag, Pater Castell" gesammelt und als Aylins Sekretärin nicht viel zu tun; aber das macht sie so gut, dass eine größere Rolle etwa in einem ZDF-Sonntagsfilm nur eine Frage der Zeit sein dürfte.
Sehr ordentliches Handwerk, aber nicht weiter auffällig
Ansonsten fehlt dem Film jedoch ein Widerpart von Format, zumal Schneiders Gegenspieler zu klischeehaft ausgefallen sind. Selbstverständlich ist der kleingeistige Klostermann eine Paraderolle für Martin Brambach, der den ebenso großmäuligen wie arbeitsscheuen Sachbearbeiter getreu dem Motto "Wer solche Kollegen hat, braucht keine Feinde" verkörpert; aber letztlich ist der Mann ein armes Würstchen. Auch die Heuchler, die den Wohltätigkeitsabend nutzen, um ihr Schwarzgeld zu waschen, bekommen keine Tiefe; Thomas Kügel wirkt in seinem Büro von der Größe einer Turnhalle wie das Abziehbild eines skrupellosen Bankers. Deutlich überraschender ist die Rolle des jungen Tim Kalkhof, der den Mofaproll spielt: Kevin entpuppt sich als heller Bursche, der sich auf die Seite der Sozialrebellen schlägt.
Mit Ausnahme von zwei Szenen ist die Inszenierung von Thomas Jahn (auch Kamera) sehr ordentliches Handwerk, aber nicht weiter auffällig; der Film ist ganz auf seinen Star zugeschnitten. Sehr hübsch ist allerdings ein Mülltonnenvorfall, als Schneider in Western-Manier ein Augenduell mit dem örtlichen Mülltrennungsüberwacher führt. "Nur nicht aufregen!" zeichnet sich ohnehin durch einige solcher sympathischer Nebensächlichkeiten aus; dazu gehört auch der Straßensänger, der allmorgendlich die S-Bahn-Fahrgäste nervt und ausgerechnet "Don’t worry, be happy" singt. Es gibt noch weitere "Murmeltier"-Momente: Täglich grüßt morgens die gleiche Fahrkartenkontrolleurin (Lina Wendel) und abends der Nachbar, dessen Fernseher kaputt ist. Dass die Geschichte tatsächlich happy endet, und das auch in romantischer Hinsicht, lässt sie beinahe märchenhaft erscheinen. Und weil der Film wie "Wilsberg" in die redaktionelle Zuständigkeit von Martin R. Neumann fällt, darf auch der Hinweis auf Bielefeld nicht fehlen.