Umfrage: Jugend-Subkulturen auf dem Rückzug
Heranwachsende ticken anders. Die neue Sinus-Jugendstudie sieht aber bei allen Unterschieden viele Gemeinsamkeiten zwischen den Milieus.

Berlin (epd) Die Jugend in Deutschland rückt einer neuen Umfrage zufolge immer näher zusammen. Die auf Abgrenzung und Provokation zielenden großen Jugend-Subkulturen gebe es kaum mehr. Vielmehr gelte für die meisten 14- bis 17-Jährigen heute: "Man möchte sein wie alle", heißt es in einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie des Heidelberger Sinus-Instituts. Sie stand unter der Fragestellung "Wie ticken Jugendliche 2016?".

Ziel der Studie sei es gewesen, ein lebendiges Stimmungsbild der jungen Generation zu zeichnen, sagte einer der Autoren, Marc Calmbach. Jugendliche in Deutschland lebten zwar nach wie vor in unterschiedlichen Lebenswelten, aber "anders als noch vor einigen Jahren ist Mainstream kein Schimpfwort mehr". So sei sich eine Mehrheit einig, dass "ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten muss". Diese Haltung gelte auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund.

"Werte wichtiger als Religionen"

Für die Studie wurden zwischen Juli und Oktober vergangenen Jahres 72 "qualitative Tiefeninterviews" mit 14- bis 17-Jähringen in Deutschland zu ihren Einstellungen geführt, darunter 14 Muslime. Die Gespräche dauerten im Durchschnitt zwei Stunden und seien im psychologischen, aber nicht im statistischen Sinne repräsentativ, betonte Calmbach. Auftraggeber waren unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen.

Laut der Studie akzeptiert der Großteil der Jugendlichen in zunehmendem Maße die "Vielfalt in der Gesellschaft" und befürworte die Aufnahme von Geflüchteten. Es gebe aber auch "manifeste Vorbehalte gegenüber anderen Nationen". Dies sei insbesondere bei Jugendlichen "in den benachteiligten Lebenswelten" verbreitet, erklärte Peter Martin Thomas, Co-Autor der Studie.

Außerdem stellten die Forscher fest, dass für die Jugendlichen "Werte wichtiger sind als Religionen". "Jugendliche sind an Sinnfragen interessiert, aber skeptisch gegenüber Religionsgemeinschaften als Institutionen", unterstrich Thomas. Dies gelte insbesondere für christlich Sozialisierte. Religiöse Begründungen von Gewalt lehnten Jugendliche aller Lebenswelten deutlich ab, auch die muslimischen Glaubens.

Kaufverhalten kaum angepasst

Zugleich hegen die Jugendlichen große Zweifel, ob sie etwa beim Thema Umweltschutz und kritischem Konsum etwas selbst bewirken können. Preisargumente und das Gefühl, dass Einzelne nicht viel ändern können, sorgten dafür, dass Jugendliche ihr Kaufverhalten in der Praxis kaum anpassen. Auch der Klimawandel ist vor allem in den Lebenswelten mit niedriger Bildung "kaum relevant, weil man Schwierigkeiten hat, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen". Hier gebe es ein "gewisses Misstrauen" gegenüber den Informationsquellen, sagte Thomas.

Wie in den Vorgängerstudien 2008 und 2012 habe sich gezeigt, "dass es 'die' Jugend nicht gibt", sagte Calmbach. Allerdings sei das vor vier Jahren entwickelte Modell der sieben Lebenswelten bestätigt worden. Abhängig vom Bildungsgrad (niedrig, mittel, hoch) und der "normativen Grundorientierung" (traditionell, modern, postmodern) unterscheidet die Studie zwischen der größten Gruppe der Adaptiv-Pragmatischen sowie den Prekären, materialistischen Hedonisten, Konservativ-Bürgerlichen, experimentalistischen Hedonisten, Sozialökologischen und Expeditiven.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, will die Ergebnisse nutzen, um zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln. Das gilt auch für Michael Weber-Wernz vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Laut Studie wählen Jugendliche heute je nach Wegstrecke pragmatisch zwischen Fahrrad, elterlichen Chauffeurdiensten und öffentlichen Verkehrsmitteln. Busse und Bahnen würden dabei zunehmend genutzt, um mit anderen in Kontakt zu treten, sei es on- oder offline, hieß es. Heike Kahl von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung sieht nach der erreichten "digitalen Sättigung" durch technische Geräte im Alltag der Jugendlichen die Aufgabe der Schulen darin, mehr die digitalen Möglichkeiten auszuschöpfen.