Zugegeben, Witze über die Alzheimer-Krankheit sind geschmacklos. Einer geht so: Zu den Vorzügen von Alzheimer gehört, dass man ständig neue Menschen kennen lernt. Lucy würde das auch nicht komisch finden, denn Lucy ist ganz offensichtlich alles andere als schadenfroh. Außerdem ist sie Betroffene; aber das hat sie vergessen. Henry weiß das natürlich nicht. Deshalb ist er ziemlich platt, als sie ihm beim Rendezvous am Tag nach ihrer ersten Begegnung eine kühle Abfuhr erteilt.
Des Rätsels Lösung: Lucy leidet seit einem Autounfall unter Amnesie. Weil das Kurzzeitgedächtnis die tagsüber neu gewonnenen Informationen nachts nicht im Langzeitgedächtnis speichern kann, wacht sie jeden Morgen in der Überzeugung auf, heute habe ihr Vater Geburtstag. In seiner Hilflosigkeit macht der die Zeitschleife seit über einem Jahr mit: guckt sich jeden Tag brav immer wieder dasselbe Football-Spiel im Fernsehen an, während sich Lucy künstlerisch in seiner Werkstatt austobt, die er allnächtlich aufs Neue weiß streicht. Natürlich lässt es sich nicht vermeiden, dass nicht eingeweihte Zeitgenosse hin und wieder die vermeintliche Idylle zerstören. Dann fährt die Familie ins Krankenhaus, wo ein Arzt (Dan Aykroyd) Lucy geduldig die Diagnose erläutert. Seine niederschmetternde Prognose: unheilbar.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Henry aber gibt nicht auf. Selbst wenn man Adam Sandler unerträglich findet (und es gibt viele Gründe dafür): Nicht mal er kann diese schöne Geschichte kaputt machen. Klar, die Rolle hätten auch andere drauf gehabt; doch sogar seine Filmografie, die ja gespickt ist mit eher naiven Gestalten, prädestiniert ihn für den liebenswerten Tierarzt aus dem Sea-Life-Park auf Hawaii. In einer herrlich komischen Sequenz versucht Henry nun, Lucy mit immer absurderen Einfällen immer wieder kennen zu lernen. Und weil er der Meinung ist, jeder Tag, den ihr eifriger Vater sie liebevoll betrügt, sei ein verlorener Tag, produziert er ein Video, durch das sie allmorgendlich die Wahrheit erfährt. An Lucys Gefühlsverlust ändert das natürlich nichts: Henry muss ihr Herz täglich neu erobern. Fröhlich fasst Autor George Wing auch diese Erfolge in einer ebenso romantischen wie vergnüglichen Schnittfolge zusammen: mit einer ganzen Reihe "erster Küsse".
Wie gut die Geschichte ist, zeigt sich nicht zuletzt an den unvermeidlichen Sandlerismen: Die diversen plumpen, pubertären und zotigen Späße platzen so unvermittelt in die romantische Stimmung, dass sie einfach komisch sind; das gilt sogar für das kotzende Walross. Und so ist Wing mit seiner wilden Mischung aus dem Rache-Thriller "Memento" (ein Mann sucht den Mörder seiner Frau, verliert aber immer wieder sein Kurzzeitgedächtnis) sowie Harold Ramis’ Komödienklassiker "Und täglich grüßt das Murmeltier" ein richtig amüsanter Film gelungen.
Wer voller Mitgefühl für Lucys Vater der Meinung ist, jeden Tag Geburtstag feiern sei auf die Dauer kaum zumutbar, dem sei Heinrich Bölls Kurzgeschichte "Nicht nur zur Weihnachtszeit" empfohlen (womöglich hat Wing sie auch gelesen): Dort ist jeden Tag Heiligabend, weil die Oma regelmäßig Schreikrämpfe kriegt, wenn der Weihnachtsbaum abgebaut werden soll.