Fall Böhmermann: Erdogans Anwalt will bis zur letzten Instanz gehen
Merkel erwartet keine Auswirkungen auf EU-Türkei-Abkommen zu Flüchtlingen
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan erhöht den Druck in der Böhmermann-Affäre und will notfalls alle Rechtsmittel ausschöpfen. In der öffentlichen Debatte erfährt der ZDF-Satiriker inzwischen vor allem Unterstützung.

Mainz/Stolpe (epd) Die Bundesregierung wird nach Worten von Kanzlerin Angel Merkel (CDU) "zeitnah" über den förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann entscheiden. "Ich habe immer gesagt, wir werden einige Tage brauchen, aber nicht Wochen", sagte Merkel am Rande eines Treffens mit den Ost-Regierungschefs am Mittwoch im vorpommerschen Stolpe bei Anklam. Auswirkungen auf die Vereinbarung der EU mit der Türkei zur Flüchtlingsfrage befürchtet die Kanzlerin nicht.

"Wir haben auf der einen Seite vielerlei Kooperationen mit der Türkei, unter anderem auch das Abkommen der Europäischen Union mit der Türkei zu den Flüchtlingen. Und auf der anderen Seite haben wir einen davon völlig unabhängigen Schutz der Grundrechte", sagte Merkel: "Die Dinge sind nicht miteinander verbunden".

Merkel unterstrich die Bedeutung der Presse- und Meinungsfreiheit. In Deutschland gelte journalistische Freiheit, "und wir werden sie auch einfordern in der Türkei", sagte sie. Als EU-Beitrittskandidat habe sich die Türkei dazu bekannt, die Werte der Europäische Union zu akzeptieren. Wo es kritikwürdigen Umgang mit Journalisten oder Demonstrationsteilnehmern gebe, "werden wir dies benennen".

Strafantrag wegen Beleidigung

Die Türkei hat förmlich eine Strafverfolgung Böhmermanns verlangt wegen der Beleidigung von Organen ausländischer Staaten. Die Bundesregierung muss eine Ermächtigung erteilen, wenn hierzu weitere Ermittlungen nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches möglich sein sollen.

Der ZDF-Satiriker hatte in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" ein Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgetragen. Erdogan hat deswegen auch persönlich Strafantrag wegen Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuchs gestellt.

Erdogans deutscher Anwalt Hubertus von Sprenger will im Rechtsstreit mit dem ZDF-Moderator notfalls alle Rechtsmittel ausschöpfen. Er sei bereit, bis zu den höchsten Gerichten zu gehen, sagte Sprenger am Dienstagabend im "heute journal" des ZDF. "Wenn ich das Mandat annehme, dann ziehe ich es auch durch." Der Moderator und Satiriker werde aber "sicher keine erhebliche Strafe bekommen, sondern es wird eine Strafe sein, die erforderlich ist, um ihn auf den rechten Weg wieder zurückzuführen, Satire zu machen und nicht mehr plumpe Beleidigungen", sagte Sprenger.

Polenz: Angelegenheit möglichst niedrig hängen

Der Münchner Rechtsanwalt teilte mit, dass Erdogan inzwischen auch zivilrechtlich gegen Böhmermann vorgehe. Der Moderator sei "aufgefordert worden, sich zu verpflichten, das nicht noch mal zu sagen". Ob auch Schadenersatz gefordert werde, stehe noch nicht fest. "Es kann ja durchaus sein, dass er klein beigibt", sagte Sprenger mit Blick auf die geforderte Unterlassungserklärung.

Politiker und Prominente stärkten Böhmermann unterdessen den Rücken. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kritisierte am Mittwoch das Vorgehen Erdogans: "Erdogan legt hier nicht die Souveränität an den Tag, die ein Staatsoberhaupt an den Tag legen muss", sagte er im Fernsehsender Phoenix. Der Vorsitzende der Konservativen, Manfred Weber (CSU), sagte in einer Sitzung des Europaparlaments an Erdogan gewandt: "Sie müssen Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und auch die Minderheitenrechte respektieren, sonst haben Sie nicht verstanden, was Europa bedeutet."

Der Vorsitzende des ZDF-Fernsehrates und ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), rief dazu auf, die Wogen zu glätten. "Wir sollten die Angelegenheit möglichst niedrig hängen", sagte Polenz der "Neuen Osnabrücker Zeitung (Mittwochsausgabe). Die seit 2005 laufenden Beitrittsgespräche mit der Türkei müssten fortgesetzt werden.

Künstler und Prominente für Einstellung der Ermittlungen

Rund 70 Künstler und Prominente forderten in einem offenen Brief die Einstellung der Ermittlungen gegen Böhmermann. "Diskussionen über und Kritik an Jan Böhmermanns Erdogan-Gedicht gehören in die Feuilletons des Landes und nicht in einen Mainzer Gerichtssaal", heißt es in dem Schreiben, das die Wochenzeitung "Die Zeit" in ihrer aktuellen Ausgabe veröffentlicht.

"Bild"-Herausgeber Kai Diekmann narrte das Netz am Mittwoch mit einer eigenen Satire. Unter der Ankündigung "Jan Böhmermann bricht sein Schweigen!" veröffentlichte er auf seiner Facebook-Seite ein gefälschtes Interview mit dem Satiriker. Nur wenig später löste Diekmann die Täuschung mit einer Twitter-Nachricht wieder auf.

Böhmermann hatte dem umstrittenen Gedicht in seiner Sendung vorausgestellt, dass er mit diesem die Grenzen dessen überschreite, was Satire dürfe. Das ZDF löschte das Gedicht, in dem Böhmermann den türkischen Staatspräsidenten unter anderem "sackdoof, feige und verklemmt" genannt hatte, aus der Mediathek.