Die Forderung des Präsidenten des Zentralrats der Juden war deutlich: Die Frage, ob Christen Juden zu ihrem Glauben bekehren sollen, werde in der Erklärung "Martin Luther und die Juden" von der Synode "leider sehr vage" behandelt, sagte Josef Schuster im November 2015 vor dem höchsten evangelischen Kirchenparlament und verlangte eine "klare Absage" an die Judenmission. Er sei zuversichtlich, "dass Sie bis 2017 noch nachbessern werden".
Die Präses der Synode, Irmgard Schwaetzer, kündigte daraufhin an, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) wolle bis zum 500. Reformationsjubiläum 2017 ihre Haltung zur umstrittenen Judenmission klären. Nun sind alle Synodalen für den 16. April zu einem Studientag nach Hannover eingeladen, diskutiert wird hinter verschlossenen Türen. Ob daraus bis zur Synode im November ein konsensfähiger Antrag wird, ist nicht sicher. Denn über die Judenmission wird in der evangelischen und auch der katholischen Kirche schon seit Jahrhunderten diskutiert, nach dem Holocaust wieder aufgenommen auf Kirchentagen der 60er Jahre.
Dialog? Gespräch? Begegnung?
Heute gibt es in der EKD eine Mehrheit gegen die Judenmission, darunter auch der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Doch die Minderheit ist hartnäckig. Im Jahr 2000 hieß es in der EKD-Denkschrift "Christen und Juden III" zur Judenmission: Diese gehöre "heute nicht mehr zu den von der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihren Gliedkirchen betriebenen oder gar geförderten Arbeitsfeldern". Manche Gruppen seien aber nicht bereit, diese Distanzierung mitzutragen, heißt es weiter unter Verweis auf evangelikale Kreise innerhalb und außerhalb von Landeskirchen. Zugleich stellten die Verfasser fest, "dass dieses Thema bisher nicht ausreichend bearbeitet worden ist". Für Streit sorgt auch der Umgang mit messianischen Juden - Juden, die an Jesus als den Messias glauben.
Die Verfasser der Denkschrift definierten die Judenmission als eine "planmäßig durchgeführte, personell und institutionell organisierte Aktivität von Christen mit dem Ziel der Verbreitung christlichen Glaubens unter jüdischen Menschen". Das klingt klar, ist es aber nicht. Ebenso wie die Begriffe Dialog, Gespräch und Begegnung, mit denen in anderen Dokumenten hantiert wird.
Das zeigt das Wort "Gespräch" in einem Papier der württembergischen Synode aus dem Jahr 1999. In der Landeskirche wird wegen starker evangelikaler und pietistischer Gruppen die Auseinandersetzung besonders kontrovers geführt. Die Synodalen einigten sich auf die "angemessene Gestaltung" des Verhältnisses von Christen und Juden "in der Form des Gesprächs über den Glauben und im je eigenen Zeugnis in diesem Dialog in Achtung vor der Identität des Gegenübers". Doch während 39 Synodale dies als Ablehnung der Mission unter Juden verstanden, sahen 32 darin keine grundsätzliche Ablehnung.
Gottes auserwähltes Volk
In der Interpretation einzelner Worte liegt heutzutage wohl der Unterschied. So hebt der Vorsitzende des pietistischen Evangelischen Gemeinschaftsverbands Württemberg, Steffen Kern, die "einzigartige Verbundenheit zwischen Juden und Christen" hervor und ist für einen respektvollen Dialog. Er plädiere "nicht für eine strategische Mission", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er plädiere aber für ein "unbefangenes Christuszeugnis", dass also "wir Christen im Gespräch mit allen Menschen, auch Juden, Auskunft darüber geben, was unser Herz bewegt". Die Spannung, dass Juden in Jesus nicht den Messias sähen, "müssen wir aushalten", sagte Kern, der sich selbst als dialogbereit in dieser Diskussion bezeichnet. Dennoch müsse "das Ringen um die Wahrheit stattfinden" und für ihn gehöre dazu, "dass ich mir wünsche, dass mein jüdischer Gesprächspartner meine christliche Sicht annimmt".
Neben geschichtlichen Erwägungen wie der, dass sich eine Mission unter Juden nach dem Holocaust grundsätzlich verbiete, geht es um theologische Argumente. Ein Knackpunkt ist die Frage der bleibenden Erwählung Israels: die Überzeugung, dass die Juden das von Gott erwählte Volk bleiben, obwohl sie den Glauben an Jesus als Messias nicht angenommen haben. Ratsvorsitzender Bedford-Strohm sagte im November 2015 in einem epd-Gespräch: Im Römerbrief werde deutlich, dass durch Jesus Christus nicht der Bund Gottes mit Israel aufgelöst wurde. Deshalb könne man nicht sagen, dass Juden nur durch Christus zu Gott kämen.
Umstritten ist auch, ob der Missionsauftrag in Matthäus 28,19 auch für das jüdische Volk gilt. Die Befürworter argumentieren, Christen dürften Juden ihre Möglichkeit zum Heil nicht vorenthalten. In der EKD-Schrift "Christen und Juden II" hingegen steht, dass letztendlich Gott "über die Wirkung des Glaubenszeugnisses und über das Heil aller Menschen" entscheide und die Mission somit seine Sache sei.